■ Kontroverse zum Verbot rechtsradikaler Parteien, 1. Teil:
: Ein antifaschistischer Herzenswunsch

Was muß ein CDU-Innenminister tun, um Antifaschisten einen Herzenswunsch zu erfüllen? Er formuliert einen Verbotsantrag gegen die „Freiheitliche Deutsche Arbeiterpartei“ – und alle dürfen sich in „innerer“ Sicherheit wiegen. Aus dem Märchen wissen wir freilich, daß Wunscherfüllung mitunter vertrackte Folgen hat. Sie lädt den Beglückten peinigende Bürden auf, so daß der letzte und rettende Wunsch darauf verwandt werden muß, sich der Erfüllung des ersteren zu entledigen.

Ausgerechnet die FAP?

Nun denn, die FAP soll also verboten werden. Die FAP!? Ganze 220 „freiheitliche deutsche Arbeiter“ zählte die Partei 1992 in ihren Reihen. Da hilft kein Rudolf-Heß-Gedenkmarsch, kein Fuldaer Polizeidebakel: die FAP-Getreuen sind reichs- und weltweit isoliert. Dieser Einsicht konnte sich auch unser Bundesamt für das Sektenwesen nicht entziehen. Im Verfassungsschutzbericht von 1990 hieß es noch: „... aus diesen rückläufigen Zahlen (von 330 auf 200) läßt sich die abnehmende politische Bedeutung der Partei ablesen.“

Zweifellos ist die 1979 gegründete FAP zur schillernden Neonaziszene der alten Bundesrepublik zu zählen. Nachdem die Kühnen-Organisationen „Aktionsfront Nationaler Sozialisten/Nationale Aktivisten“ (ANS/NA) 1983 verboten worden war, fanden sich etliche jener Kameraden, die den Wiederaufbau der NSDAP auf ihre Fahne geschrieben haben, in der FAP wieder: das übliche Spiel beim Verbot politischer Organisationen. Man kann zwar bestimmte Kollektive illegalisieren, aber keine Menschen samt ihren politischen Leidenschaften verbieten.

Warum sollte die notorisch bedeutungslose Truppe nach nunmehr 14 Jahren verboten werden? Der Innenminister hält seinen Verbotsantrag, der am 16. September beim Verfassungsgericht einging, bislang unter Verschluß und schiebt den Datenschutz vor. Soviel aber ist den spärlichen Presseerklärungen zu entnehmen: der FAP werden nicht nur dem Nationalsozialismus „wesensverwandte“ Ziele nachgesagt, sondern auch ganz handfeste Unternehmungen angelastet. Die Partei soll ihre „Machtübernahme“ planen – behauptet der Innenminister. Ob diese dem Stammtisch einer Ratsstube in Köpenick gilt oder dem Reichstag in Berlin?

Warum geht man daran, der FAP ein politisches Verbotsverfahren vor dem noblen Karlsruher Verfassungsforum zu verschaffen? Bislang gibt es zwei weit zurückliegende Präjudizien: 1952 wurde die „Sozialistische Reichspartei“ (SRP) als Nachfolgeorganisation der NSDAP verboten; 1956 folgte das Urteil gegen die KPD. Beide Male wurde die Adenauerregierung initiativ. Seitdem ist die Skepsis gegen diese Form der innenpolitischen Feinderklärung gewachsen. Eine Regierung, die angesichts einer Kleinstpartei mit dem Verbot fuchtelt, gibt zu erkennen, daß sie sich nicht nur ein wohlfeiles antifaschistisches Alibi verschaffen will, sondern vor allem das rostige Schwert „streitbare“ Demokratie schärfen will – ist dieses doch vielseitig zu gebrauchen.

Wer den Verbotsantrag gegen die FAP als taktische Frage der Effizienz oder Sozialpädagogik diskutiert, verfehlt die grundlegende nach dem Demokratieverständnis. Auch der von rechtgläubigen Antifaschisten gern bemühte Art. 139 des Grundgesetzes, demzufolge die „zur ,Befreiung des deutschen Volkes vom Nationalsozialismus und Militarismus‘ erlassenen Rechtsvorschriften“ verfassungsdurchbrechende Wirkung hatten, geht längst ins Leere: Weder deutsches noch alliiertes Sonderrecht gegen Nazis gilt noch. Der Neonazismus untersteht seit 1958 ausnahmslos dem Grundgesetz.

Drei Fragen

Drei Probleme bleiben zu klären. Unter welchen Voraussetzungen dürfen heute Parteien verboten werden? Was ist von diesen Maßstäben zu halten, gemessen an demokratischen Standards? Wann ist ein Verbot politisch sinnvoll?

Ad eins: Artikel 21 Abs. 2 des Grundgesetzes besagt seinem wesentlichen Inhalt nach: „Parteien, die nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgehen, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen ..., sind verfassungswidrig.“ Man lese sehr genau. „Nach ihren Zielen“? „Dem Verhalten ihrer Anhänger“? „Darauf ausgehen“? Und was macht das „Freiheitliche Demokratische“ jener „Grundordnung“ aus? Und was heißt es, diese „zu beeinträchtigen“ oder „zu beseitigen“? Soviel jedenfalls ist klar: Derzeit können Parteien schon dann verboten werden, wenn sie „verfassungswidrige“, also irgendwie anstößige politische Ziele propagieren. Ein willkommener Knebel für „ideologische Brandstifter“? Den weitverbreiteten Kurzschluß von der politischen Agitation auf kriminelle Gewalttaten hat noch niemand empirisch belegt. Weil das Tätermilieu außerdem durch informelle Strukturen geprägt ist, erweisen sich organisationsfixierte Präventiveingriffe ohnehin als stumpfe Waffen.

Ad zwei: Das Parteiverbot ist eine einzigartige Schöpfung westdeutschen Verfassungsgeistes, in der Kalter Krieg und hilfloser Antifaschismus eine vordemokratische Symbiose eingegangen sind. Als Antithese der Parteienfreiheit konstituiert es eine Verfassungstreuepflicht für „die Parteien dieser Staatsordnung“, so das KPD- Urteil. Mit herkömmlichen Standards politischer Freiheit ist das unvereinbar.

Ad drei: Was den (Un-)Sinn von Parteiverboten anbelangt, haben wir einen kleinen praktischen Rat für die Karlsruher Richter. Sie mögen sich einmal an der Interpretation von Paragraph 45 des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht versuchen. Dort heißt es im Abschnitt über das „Vorverfahren“: Man solle der betreffenden Partei Gelegenheit zur Stellungnahme geben und sodann beschließen, „ob der (Verbots-)Antrag als ... nicht hinreichend begründet zurückzuweisen oder ob die Verhandlung durchzuführen ist“.

Ein Gericht, das sich von einer Bundesregierung, die propagandistisch-instrumentelle Verbotsanträge stellt, weder die Zeit stehlen noch zum Narren halten lassen will, findet hier eine kluge und gesetzestreue Antwort: Wie sollte der Antrag gegen eine Partei, deren mikroskopische Größe hart an der Grenze der politischen Wahrnehmbarkeit liegt, jemals „hinreichend begründet“ sein? 220 FAP- Leute sind eine Quantité négligeable, es sei denn, sie transformierten ihre „freiheitliche“ in eine „bewaffnete“ Arbeiterpartei.

Der Verbotsantrag sollte daher zurückgewiesen werden: Eine Verhandlung nach Art. 21 Abs. 2 kommt nur dann in Betracht, wenn die angeklagte Partei ein Mindestmaß an politischer Bedeutung erreicht. Der Antrag gegen die FAP unterstreicht dagegen ein Maximum an Irrelevanz. Ihre „Machtübernahme“ gehört offenkundig ins Reich der politischen Fiktion. Auf den womöglich neonazistischen Gehalt der FAP-Ziele kommt es im übrigen nicht an. Eine Partei, die praktisch nicht existiert, ist außerstande, solcher Propaganda, die zweifelsohne verfassungswidrig ist, öffentliche Resonanz zu verschaffen.

Wir sind gespannt, ob in Karlsruhe „extremistische“ Mikroorganisationen künftig mit der Lupe erlegt werden – oder am Ende doch praktische Vernunft waltet. Horst Meier

Jurist und Autor, lebt in Hamburg (1993 erschien „Parteiverbote & demokratische Republik“)