Popscheiße?

■ Die siebte "Woche des Hörspiels 1993" in Berlin - eine Momentaufnahme

Dem Hörspiel geht es gut. Diese Aussage ließe sich treffen, wäre das streitbare Engagement der 200 bis 300 Hörer- und ZuhörerInnen der Maßstab, die sich vom 21. bis zum 28. November zur „Woche des Hörspiels“ trafen. In der Berliner Akademie der Künste wurden 13 Hörspiele der ARD, des Rias und des DS Kultur vorgestellt und diskutiert; die Hörspielabteilungen spielten sich wie in jedem Jahr gegenseitig ihre besten Arbeiten vor, um Ruhm und Koproduzenten zu gewinnen.

Wirklich reizvoll an dieser Veranstaltung ist jedoch nicht das Marktgeschehen. Die Publikumsjury und das Publikum selbst konfrontierten die MacherInnen einerseits mit den vertrauten Fragen der Kritik, andererseits mit persönlichem Erleben – sofern es die lustlose Moderation zuließ.

Die „Woche des Hörspiels“ findet in einer – wieder einmal – schwierigen Zeit statt. Die Hörspielabteilungen von Rias und DS Kultur werden demnächst abgewickelt, die des SFB hat extreme Kürzungen erfahren. Nach wie vor droht allen Abteilungen eine Zusammenlegung mit anderen zwecks Kosteneinsparung. Unter seinen Feinden, den Nicht-Hörern, und einigen Freunden gilt das Hörspiel als Ort elitärer Selbstverständigung im Radio. Die acht Abende in der Akademie hinterließen einen ganz anderen Hör-Eindruck.

Da waren eine ganze Reihe bedächtiger, „handwerklicher“ Bearbeitungen epischer und dramatischer Vorlagen und viele (zumindest im Hörspiel) bekannte Autoren und Regisseure zu hören. Nur eine Autorin und zwei Regisseurinnen waren eingeladen. Dagegen zeichnete das männliche Akademiemitglied Hermann Naber vom SWF für zwei Reden, drei Koproduktionen und eine Regiearbeit verantwortlich.

Kaum verständlich, warum so wenige Frauen ausgewählt wurden, waren doch im Laufe eines Jahres mit Simone Schneider, Grace Yoon und Gisela von Wysocki drei AutorInnen mit wichtigen Hörspielpreisen ausgezeichnet worden. Die ARD präsentierte vorwiegend vertraute Standards. Ein hohes Niveau in der Beherrschung der Mittel schützt zwar vor dem totalen Mißlingen der Produktion, nicht aber vor dem schalen Geschmack von Kulturbetrieb.

Das Experiment war rar. Nur die Hörspiele „Die Benjamin Loops“ von Andreas Ammer und „Fallen Fälle Wie Sie Fallen“, eine Daniil-Charms-Bearbeitung von Stefan Hardt, hatten diese Qualität. Beide lassen sich in der großen Schublade „Pophörspiel“ unterbringen. Sie fassen das Hörspiel nicht als ein Präsentationsforum literarisch wertvoller Vorlagen auf, sondern als ein Medium. Die Musik und die Geräusche, von traditionellen Hörspielmachern immer zur Atmosphäre verdinglicht, geben hier den Rhythmus vor, erzwingen Reihungen und Refrains; der Text wird dadurch zum sprachlichen Material.

„Popscheiße“ wurde Ammer einmal von einem besserwisserischen Kritiker entgegengehalten. Mittlerweile ist diese „Scheiße“ die interessanteste Formation der deutschen Hörspiellandschaft; eine ganze Reihe von Sendern bemühen sich um solche Produktionen. Wie alle Experimente haben sie Überzogenheiten und Unausgewogenes in sich, tragen manchmal schon der Mode Rechnung, doch sie sprengen ästhetische Normierungen auf.

Den nicht dotierten Publikumspreis „Der Lautsprecher“ erhielt überraschend die SFB/DS Kultur- Koproduktion „Nix“ von Peter Wawerzinek in der Regie von Barbara Schäfer, Dramaturgie von Renate Jurzik, die jüngst vom Hörspiel zum Feature des SFB wechseln mußte. Die Jury sah in „Nix“ eine „adäquate Inszenierung eines witzigen, sensiblen, poetischen Textes“. Anerkennung für ein Stück ohne Bildungsattitüde.

Das Hörspiel kann seinen Platz im Radio behaupten, das haben einige der vorgestellten Produktionen gezeigt. Wenn jedoch nur für seinen Bestand, nicht aber auch zugleich für seine Entwicklung eingetreten wird, wird das Hörspiel seine Legimitation als Kunstform wohl verlieren. Martin Zeyn