Den doofen Staatsbürger aufklären

Der Film „Beruf Neonazi“ darf in Hessen nicht mehr öffentlich aufgeführt werden / Muß sich Filmförderung künftig nach staatspädagogischen Gesichtspunkten richten?  ■ Von Mariam Niroumand

Berlin (taz) – Eine Kette empörter Reaktionen hat Winfried Bonengels Dokumentarfilm „Beruf Neonazi“ ausgelöst. Der Film erfüllt nach Ansicht der Frankfurter Generalstaatsanwaltschaft die Straftatbestände der verbotenen nationalsozialistischen Propaganda, der Volksverhetzuung, der Beleidigung und der Verunglimpfung. Am Montag hat der Zentralrat der Juden in Deutschland Strafanzeige gegen Althans erstattet. Dem Film (taz vom 18.11.) wurde gleich zur Uraufführung vom Spiegel vorgeworfen, er betreibe faschistische Propaganda und überließe seinem Protagonisten, dem Münchener Jungschick- Nazi Bela Ewald Althans, unkommentiert die politische Bühne. In der Tat begleitet der Film Althans auf Fahrten zu seinem in Kanada lebenden Mentor Ernst Zündel, zeigt das internationale Vertriebsnetz propagandistischer Schriften und Videos und zeigt schließlich auch, wie Althans, früher selbst Mitglied von „Aktion Sühnezeichen“, in einer ehemaligen Gaskammer in Auschwitz Besucher zu agitieren versucht.

Der Anzeige des Zentralrats der Juden waren öffentliche Proteste vorausgegangen. Zunächst distanzierten sich die vier Bundesländer, die den Film mit insgesamt 370.000 DM gefördert hatten, auf Initiative des hessischen Landtags in einer Erklärung von dem Film. Selbst Hamburgs Kultursenatorin Christina Weiss (Grüne), die zunächst noch hinter dem Film gestanden hatte, unterschrieb am Montag die gemeinsame Erklärung der Länder. Darin hieß es in markigen Worten: „Wir werden gemeinsam alle uns zur Verfügung stehenden Möglichkeiten nutzen, damit der Film in dieser unkommentierten Form nicht aufgeführt wird. Und: „Wir bekräftigen: Eine Zensur findet nicht statt.“

Die Produzenten des Films, die Firma „Ostfilm“ auf dem Babelsberger Studiogelände, haben inzwischen von der hessischen Wissenschaftsministerin Evelies Mayer (SPD) die Nachricht erhalten, daß ein Verwaltungsverfahren zur Rückforderung der von Hessen gezahlten Fördermittel in Höhe von 50.000 Mark eingeleitet worden sei. Das Hamburger Filmbüro vermutet denn auch, daß „Beruf Neonazi“ zu einer Attacke gegen die Filmförderung im allgemeinen benutzt werden soll, zumal das Land Mecklenburg-Vorpommern bereits eine Revision seiner Förderrichtlinien erwägt. „Ein unabhängiges Gremium des Hamburger Filmbüros“, so hieß es in einer Erklärung, „hat den Film gefördert, weil laut Antrag und Exposé eine kritische Studie über den gegenwärtigen Rechtsradikalismus geplant war.“ Nun müsse es eine kontroverse Diskussion über den Film geben; eine Zensur sei „nicht gerechtfertigt“. „Unbegreiflich ist uns“, schließt die Erklärung, „daß sich bisher kein Richter in Deutschland gefunden hat, der Althans wegen seiner unverhohlenen Propaganda für den Nationalsozialismus verurteilt hätte.“

Statt dessen hat die hessische Generalstaatsanwaltschaft den durchaus ungewöhnlichen Beschluß gefaßt, der Film dürfe in Hessen nicht mehr gezeigt werden. Dieser in der Geschichte der hessischen Filmförderung einmalige Beschluß stützt sich auf die sogenannte „Sozialadäquanz-Vorschrift“ des Strafgesetzbuchs, wonach das Verbreiten von Propagandamitteln verfassungsfeindlicher Organisationen nur dann zulässig ist, wenn „das Propagandamittel oder die Handlung der staatsbürgerlichen Aufklärung, der Abwehr verfassungswidriger Bestrebungen, der Kunst oder der Wissenschaft, der Forschung oder der Lehre oder der Berichterstattung über Vorgänge des Zeitgeschehens“ dient. Diese Ausnahme könne nach den Worten des Pressesprechers des Generalstaatsanwalts, Kechler, nicht gewehrt werden, solange „der Bursche da unkommentiert machen kann, was er will“.

In Frankfurt, wo der Film bislang ohnehin noch nicht zu sehen war, darf der Film nur mit „eindeutiger Kommentierung“ versehen, gezeigt werden. Regisseur Bonengel selbst war für einen Kommentar nicht zu sprechen. Er hält sich wegen Morddrohungen aus Nazikreisen wegen seines Films über den Aussteiger Ingo Hasselbach im Ausland auf.

Siehe auch Kommentar Seite 10