Geheimnis um Schalcks Westpartner

■ Behinderte der BND Strafverfolgung von Stasi-Zuträgern?

Bonn (taz) – Die Regierungsmehrheit im Schalck-Untersuchungsausschuß des Bundestages hat gestern Anträge der SPD und der Grünen abgebügelt, die Beweisaufnahme erneut einzuleiten. Dies hatte die Opposition nach dem Bekanntwerden eines bislang geheimen Bankdepots von Frau Schalck-Golodkowski und aufgrund von BND-Akten gefordert.

Um die BND-Akten tobt seit letzter Woche ein erbitterter Streit im Ausschuß. Es geht dabei um sogenannte Quellenakten, nämlich die Vernehmungsprotokolle des Überläufers Horst Schuster. Der war von 1963 bis '65 für Markus Wolfs HVA im Libanon, später als Mitarbeiter Schalck-Golodkowskis für die Hauptabteilung XVIII (Schutz der Volkswirtschaft) im Stasi-Einsatz. 1983 lief Schuster zum BND über. Neben dem mittlerweile verstorbenen Überläufer Günter Aspeck war Schuster einer der wichtigsten Quellen des BND aus Schalcks Schattenreich „Kommerzielle Koordinierung“.

Die Aufregung um die Übersendung der Schuster-Quellenakten durch den Generalbundesanwalt an den Schalck-Ausschuß letzte Woche in Bonn – angeblich eine Panne Karlsruhes – war Popanz: Schon im März letzten Jahres hatte sich Schuster nämlich in öffentlicher Ausschußsitzung selbst als Überläufer geoutet. Die Aufregung im Kanzleramt erklärt sich anders: Durch die Akten wird offenkundig, wie zehn Jahre lang die Strafverfolgung westlicher Stasi- Helfer behindert wurde.

Überläufer Schuster berichtete dem BND ausführlich über die schmutzigen Ost-West-Geschäfte des Schalck-Bereichs, an denen er selbst jahrelang als Geschäftsführer der KoKo-Firmen Kunst & Antiquitäten und Berag beteiligt war. Und auch für diese Geschäfte gilt eben: Es gehören immer zwei dazu. Schusters Angaben über die westlichen KoKo-Partner und ihre Praktiken bergen die eigentliche politische Brisanz. Seine Angaben über den DDR-Waffenhandel nach Nahost benennt eben auch jene Münchner Firma, über die 1991 Militär-Lkws nach Libyen sowie an die Kriegsparteien Iran und Irak geschleust wurden. Und daß sich der Siemens-Konzern mit der Bescheinigung des KoKo-Funktionärs Schuster zufriedengab, ein gelieferter Großrechner werde in der DDR nur zivil genutzt, zeigt, daß Siemens den Umsatz wichtiger nahm als bundesdeutsche Exportbestimmungen. Denn natürlich, so erfuhr der BND von Schuster, war der West-Computer in einem Rechenzentrum der sowjetischen Armee in Karlshorst gelandet.

204 Stasi-Informanten in den BND-Akten

Als die KoKo-Firma Kunst & Antiquitäten eine neue Lagerhalle benötigte, wurde Schuster von Schalcks Stellvertreter, dem Stasi- Obristen Manfred Seidel, angewiesen, den Bauauftrag dem Westberliner Unternehmer Hans Noetzel zuzuschanzen. Ausdrückliche Begründung: Der weitere Informationsfluß aus dem Landesvorstand der Berliner SPD müsse gewährleistet werden. Noetzel galt bei der HVA, wissentlich oder unwissentlich, wegen seiner Kontakte in den Westberliner Senat und ins Bonner Kanzleramt als begehrter Informant über SPD-Interna.

Insgesamt 204 Personen, in Ost- wie Westdeutschland, benannte Schuster in seinen Vernehmungen durch den BND-Beamten Z. als Mitarbeiter der Stasi, viele davon als Zuträger der DDR-Auslandsspionage HVA. Hier liegt möglicherweise eine Erklärung für den Affentanz, der um die Schuster- Akten in Bonn gegeben wurde: Gegen einige der von Schuster genannten Personen ermittelt seit der Wende der Generalbundesanwalt wegen Spionageverdachts. So etwa gegen den Westberliner Geschäftsmann J.M. Der Mann, so belegen nach der Wende sichergestellte Stasi- und KoKo-Unterlagen, diente KoKo und HVA mit seiner Firma Remex als „Hauptbeschaffungslinie“ für Embargogüter. Doch den Fahndern ist der Technologie-Schmuggler weggefitscht: M. Hat sich kürzlich nach Südafrika abgesetzt. Dessen Dienste für die HVA hatte Überläufer Schuster schon 1983 beim BND zu Protokoll gegeben.

Hätten die Pullacher ihren Topinformanten an Verfassungsschutz oder BKA weitergereicht, hätten die Karlsruher Ermittler schon vor Jahren loslegen können. Auch im Verfahren gegen den KoKo-Paten Alexander Schalck-Golodkowski selbst kamen die Bundesanwälte erst voran, als sie im Spätsommer letzten Jahres – fast drei Jahre nach der Wende – vom BND die Vernehmungen der Überläufer Schuster und Aspeck erhielten. Gute Laune schaffte die verspätete „Amtshilfe“ aus Pullach in Karlsruhe gewiß nicht. Das könnte erklären, wieso der Generalbundesanwalt letzte Woche die als „geheim“ eingestuften BND- Quellenakten so ganz „aus Versehen“ an den Bonner Untersuchungsausschuß weiterleitete. Thomas Scheuer