Rapping Schizophrenia

■ Neuestes HipHop-Modell: Snoop Doggy Dogg, der Meta-Gangster

„Ich bin nicht tot, Mann. Ich atme noch.“ Snoop Doggy Dogg reagiert trotzig, wenn er zu den Gerüchten um seinen angeblichen Tod Stellung nehmen soll. Mord? Überdosis? „Hört auf, mich für tot zu erklären, bevor es soweit ist.“

Es ist nicht der richtige Zeitpunkt für solche Gerüchte. Und doch gibt es keinen, der besser gepaßt hätte. Seit seinem Gastauftritt auf Dr. Dres Album „The Chronic“ ziert Snoops Gesicht die Titelblätter der Fachpresse. Der immense Erfolg der Platte – sie verkaufte sich innerhalb weniger Monate über zweimillionenmal – gründete zu einem nicht kleinen Teil in der unglaublichen Laid- Backness seiner Raps. Sein näselnder Hardcore-Singsang traf ohne Vorwarnung genau die Leerstelle zwischen der Dumpfheit vieler unabhängiger HipHop-Produktionen und den kommerzialisierten Gangster-Haltungen, die sich im Westcoast-HipHop in der letzten Zeit aufgetan hatte.

Dazu rollt ein schwerer, knarziger Funk, der einen mit aller Gewalt am Boden hält. Das rhythmische Pumpen unzähliger Arme, das im Video zu Dr. Dres Hit-Single „Nuttin' But A G Thang“ allgegenwärtig ist, erweckt den Eindruck, als sei es die letzte Rettung, um sich nicht von der Schwerkraft dieser Musik in Grund und Boden rammen zu lassen. That's Gangster Funk, brother. Erstaunlich daran ist, daß sich das ästhetische Modell des Gangsters hier erstmals als wirklich marktfähig erweist (immerhin hielt sich „Nuttin' But A G Thang“ länger in den Top Five als irgendein anderer Song in der Geschichte der Popmusik).

Snoop Doggy Dogg scheint für diese Rolle wie geschaffen. Seine Geschichte wirkt wie von einem A&R-Manager für HipHop ausgedacht: Geburt in Armut, instabile Familienverhältnisse, Kriminalität, Drogen. Seit dem Teenager- Alter hing er mit den Long Beach Crips auf der Straße herum, dealte mit Dope, landete dreimal für ein paar Wochen im Gefängnis. Echtes Street Life eben.

Der Ghetto-Realismus, nicht frei von industriellem Design, der den Westcoast-HipHop maßgeblich beherrscht, kommt schon seit einiger Zeit nicht mehr ohne derartige Stereotypen aus. Das Versprechen von Street Credibility, das seit Boogie Down Productions' „Criminal Minded“-LP eine Grunddefinition von Hardcore-HipHop bereitstellte, machte in dieser Entwicklung seltsame Metamorphosen durch. So spricht die Liste der im letzten Jahr ermordeten Rapper und Produzenten nicht nur von den äußeren Bedingungen des Ghettolebens, sie deutet auch auf eine fatale Verwechslung von Fiction und Non-Fiction. Das Klischee im Ghetto-Realismus wird dort problematisch, wo es bewußtlos als Lebensentwurf übernommen wird und seine demonstrative Funktion verliert, in der es die Verhältnisse reflektiert.

Auf seinem gerade erschienenen Debütalbum „Doggy Style“ scheint sich auch Snoop Doggy Dogg vom rebellischen Gangster- Image verabschiedet zu haben – um es allerdings durch die Hintertür wieder einzuführen: als radikale Opposition zum fortschreitenden Ausverkauf. Er weiß, daß die Mittel dazu von den Bedingungen der kommerziellen Ausschlachtung ebenso vorgegeben sind wie vom fortgesetzten Ausschluß vom breiten Markt. Das Modell des aus industriellen Bad- Boy-Images zusammengesetzten „Meta-Gangsters“, das er verkörpert, ist nur die logische Konsequenz: gnadenloses Overdressing, das seine Spuren – vom hundert

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fach genäselten „biyatch“ (bitch) bis zur photorealistischen Inszenierung seiner Verbrecherkarteibilder – in jeder Geste hinterläßt. Jenseits dieses Glamours wird aber deutlich, worum es eigentlich geht: „With so much drama in den LBC [Long Beach Crips; d. Red] / It's kinda hard being Snoop D-O-double G / But somehow, someway / I keep comin' up with funky ass shit / Like every single day“ („Gin and Juice“).

Seine Stimme schwankt dabei zwischen Hohn und Abgeklärtheit. Das Rumhängen zwischen Leben und Tod, das als „Survival of the fittest“ ein zentrales Sujet des Gangsta-HipHop ausmacht, markiert für ihn den Beginn einer Art Selbstdefinition jenseits der Gang. Das hat mit Ghetto-Realismus nur noch insoweit was zu tun, als dieser die Möglichkeit bereitstellt, die individuellen Bedingungen des Überlebens zu reflektieren. Snoop spricht nicht als Berichterstatter eines „Black CNN“ (so Rapper Ice-T über die Funktion des HipHop). Er erzählt nicht mehr von dem, was auf der Straße, sondern von dem, was in seinem Hirn passiert. Stücke wie „Murder Is The Case“ oder „Serial Killa“ rocken die Schizophrenie, wie das zuvor nur die Geto Boys taten: Überleben gegen sich selbst, heißt die Devise, wenn „my mind plays tricks on me“.

In diesem Zusammenhang wird auch deutlich, warum Kevin Prowell im US-Musikmagazin Vibe den immensen Einfluß, den „Nuttin' But A G Thang“ auf schwarze Kids hatte, mit dem Erfolg von Nirvanas „Smells Like Teen Spirit“ vergleicht. Das Image des Gangstas wird hier erstmals für ein breites Publikum zur Projektionsfläche, weil es nicht mehr auf ein cooles Leben verweist, das im Grunde genommen alles andere als cool ist, sondern die wirklichen Widersprüche im wirklichen Kampf sichtbar macht, den die Kids auf der Suche nach irgendeiner Identität mit sich austragen.

Und genau deshalb treibt Snoop die Gerüchte um seinen Tod in einem gerappten Dialog mit dem Teufel auch auf die Spitze: „How long will I live?“ – „Eternal life and forever“ – „But will i be the ,G‘ I was?“ Eine grundsätzlichere Frage hätte man sich kaum vorstellen können. Von Dietrich Roeschmann

Snoop Doggy Dog: „Doggy Style“ (Interscope/EastWest)