■ Endlich der definitive Vorschlag zur Präsidentenwahl
: Der ideale Kandidat

Das Von-Weizsäcker-Nachfolge-Nominierungsspiel erinnert zusehends an eine Lotterie, deren Hauptgewinn im Laufe der Ziehung zu einem Trostpreis schrumpft. Langsam wird es Zeit, wieder festen Boden unter die Füße zu bekommen, soll das Amt des Präsidenten nicht der Lächerlichkeit preisgegeben werden. Wer könnte das ganze Deutschland, so lautet die definitiv zu beantwortende Frage, am besten vertreten? Es müßte in der Tat jemand sein, der unseren neuen Mitbürgern aus dem Osten das Gefühl gibt, dazuzugehören. Er müßte über politische Erfahrung verfügen, die Befindlichkeit der Deutschen in Ost und West kennen, hinreichend prominent sein und dazu zuverlässig, lernfähig und bewährt reformfreudig.

Es gibt einen solchen Kandidaten, er tritt vor unser aller Augen auf, bescheiden und unaufdringlich, aber desto überzeugender. Wir meinen Markus Wolf. Auf den ersten Blick mag der Vorschlag gewagt, fast frivol erscheinen, doch bei vorurteilsloser Annäherung gewinnt er an Plausibilität. Markus Wolf kennt die DDR, und er kennt sich in der Bundesrepublik, dank den Informationen, die sein Amt gesammelt hat, besser aus als die meisten Bundesbürger. Er hat in der DDR politische Verantwortung getragen, und er hat bewiesen, daß er ein feines Gespür für den Wandel der Zeiten hat. Lange bevor irgend jemand den Zusammenbruch der DDR ahnen konnte, hat er sich aus dem aktiven Dienst zurückgezogen, um schließlich, am 4. November 1989, auf dem Alexanderplatz vor einer Million Demonstranten eine demokratisch reformierte DDR zu fordern. Markus Wolf ist ein Pragmatiker, zugleich verkörpert er aus der Mode gekommene Tugenden: Treue, Verläßlichkeit, Disziplin. Er hat während des Prozesses, der ihm in Düsseldorf gemacht wurde, keinen Mitarbeiter verraten und kein geheimes Wissen preisgegeben. Auch hat er sich, eine kostbare gesamtdeutsche Seltenheit, nie persönlich bereichert. Was immer er tat, er tat es im Bewußtsein, ein Staatsdiener zu sein. Zwingend aber für seine Nominierung ist folgender Grund: Wenn der Ruf nach Versöhnung mehr sein soll als ein Lippenbekenntnis zur Vorwahlzeit, dann genügt es nicht, ein paar Stasi- Offiziere freizusprechen, die Briefe öffneten und Telefongespräche abhörten. Es genügt nicht, einen ehemaligen IM als Ministerpräsidenten zu resozialisieren. Und es reicht nicht, einen Prediger zum Friedenspreisträger des deutschen Buchhandels zu küren, der bald darauf von einem „Freudenfeuer“ schwärmt, dem er Akten und Dokumente übergeben möchte, ohne daß er merkt, welcher Tradition er das Wort redet. Das alles ist nicht genug, wenn Ost und West zusammenwachsen sollen. Wolfs Wahl wäre das dringend notwendige Zeichen der Vernunft, der Großherzigkeit, des Ausgleichs. Es wäre die Brücke über dem deutsch-deutschen Abgrund, die kürzeste Verbindung zwischen gestern und morgen. Henryk M. Broder