"Immer den Frauen nach!"

■ Ein Buch zur Berliner Frauengeschichte erinnert an längst vergessene und nie erwähnte Frauen / Nur fünf von 65 Denkmälern sind weiblich / Lesben wurden im nationalsozialistischen Berlin geduldet

Von der ehemaligen Lichtensteinbrücke in Tiergarten ist die tote Rosa Luxemburg am 9. Januar 1919 in den Landwehrkanal geworfen worden. Ein spektakulärer Mord in der jungen Weimarer Republik, der sich am kommenden Sonntag zum 75. Mal jährt. Heute erinnert ein privat gespendetes Mahnmal an die überzeugte Sozialistin, die ihren Kampf gegen Unterdrückung und Krieg mit dem Leben bezahlte. Viele haben sich dafür eingesetzt, auch die moderne Fußgängerbrücke nach ihr zu benennen, die die im Zweiten Weltkrieg zerstörte Steinbrücke ersetzt. Doch auch in den neuen Stadtplänen steht noch immer der alte Brückenname. Nur fünf von über 65 Denkmälern der neuen Hauptstadt sind Frauen gewidmet. Von gut 6.000 Straßennamen in Westberlin erinnern ganze 23 an die Verdienste von Frauen. Mitarbeiterinnen der Berliner Geschichtswerkstatt machten sich daran, Spuren von Frauen zu suchen. Da sie der „Dampfergruppe“ der Geschichtswerkstatt angehören, die seit 1984 Schiffsrundfahrten organisiert, suchten sie zuerst in der Nähe des Landwehrkanals. Und sie sind fündig geworden. Das zeigt ihr Buch „Immer den Frauen nach! Spaziergang am Landwehrkanal zur Berliner Frauengeschichte.“

Neun Autorinnen haben darin 51 Kurzessays geschrieben. Über Frauen, die Geschichte gemacht haben genauso wie über unbekannte Frauen, die genug zu tun hatten, ihren Alltag in der Großstadt Berlin zu meistern. Von anonymen Frauen, den Frauen „an Bord“, handelt der erste Beitrag. Denn die Schiffahrt auf dem zehn Kilometer langen Landwehrkanal, der Mitte des vergangenen Jahrhunderts ausgehobenen ersten Südumgehung Berlins, war nicht nur Männerarbeit. „In der Steineschiffahrt sah man Frauen, die den Männern beim Schieben der schweren Karren halfen.“ Ein Drittel der Schiffer hatte Frauen und Kinder dabei.

Der „Spaziergang“ folgt dem Kanal durch die Bezirke Kreuzberg, Treptow, Neukölln, Schöneberg, Tiergarten und Charlottenburg. So unterschiedlich wie diese Viertel, so unterschiedlich sind die Biographien der beschriebenen Frauen und die Ziele der von ihnen gegründeten Vereine.

Da wird von den 40.000 Mädchen und Frauen berichtet, die Anfang dieses Jahrhunderts jährlich aus der Provinz anreisten, um in Berlin Arbeit zu finden. Schon auf dem Görlitzer Bahnhof wurden die zukünftigen Dienstmädchen und Ammen jedoch häufig von Männern angesprochen und mitgeschleppt – um sie in die Prostitution zu vermitteln oder auch nur gewinnbringend an ein Stellenvermittlungsbüro. Das zu verhindern machten sich die Bahnhofshelferinnen vom „Verein der Freundinnen junger Mädchen“ zum Ziel. Aus deren Arbeit entstand 1914 die heute noch existierende Bahnhofsmission.

Oder vom Damenclub Erato wird berichtet, der ein paar Häuser vom Fraenkelufer entfernt seine Damenbälle organisierte. Der Club war eine der zahlreichen Vereinigungen lesbischer Frauen im Berlin der zwanziger Jahre. Während die homosexuellen Männer ab 1933 in den Konzentrationslagern umgebracht wurden, ließen die Nazis die lesbischen Frauen in Ruhe. Denn „eine eigenständige Sexualität, die nicht erst durch Männer geweckt werden mußte, wurde Frauen weitgehend abgesprochen“.

Das einzige Auswahlkriterium, die Nähe zum Landwehrkanal, sorgt für bunt vermischte Themen. Die Essays handeln genauso von Helene Lange und ihrem Kampf für die Frauenbildung wie von Melitta Bentz, der Erfinderin des Kaffeefilters; von Frauen im Widerstand gegen das Hitler-Regime wie von Karyatiden, den weiblichen Statuen, die in einigen Kreuzberger Mietshäusern statt Säulen und Pfeilern das Gebälk tragen. Doch durch die Vielzahl der Themen werden Probleme nur angeschnitten, weiterführende Analysen fehlen.

Das Buch macht neugierig auf einen Spaziergang am Landwehrkanal. Neben Öffnungszeiten von Museen, Vereinen und Cafés befinden sich im Anhang Kontaktadressen für historische Stadtrundfahrten von und für Frauen in Berlin. Ein Stadtreiseführer für alle, die auf „Männer“-Geschichte keine Lust mehr haben. Juliane Echternkamp

„Immer den Frauen nach“, Spaziergang am Landwehrkanal zur Frauengeschichte, Hrsg. Berliner Geschichtswerkstatt, Selbstverlag, 16,80 DM.