Landunter-Glückauf!

Vom kommunistischen Zocker zum profanen Black Jack: Zur „Ökonomie des Glücksspielmarktes in der Bundesrepublik Deutschland“  ■ Von Helmut Höge

Allem amerikanischen Recht auf Glück zum Trotz wird der Opern- Besucher bei uns immer noch hoch subventioniert, ein Glücksspieler dagegen schwer besteuert. Während ersterer vorgibt, seine Leidenschaften veredeln zu wollen, wird letzterem unterstellt, er sei ungeeignet „for steady work as well as for the higher and more solid pleasures of life“ (A. Marshall, „Pinciples of Economics“).

Die Wirtschaftswissenschaftler definieren deswegen das Glücksspiel, ebenso wie Tabak, Alkohol und Prostitution, als ein „demeritorisches Gut“ (von „meritorisch“ = verdienstlich, „Demerit“ ist ein straffällig gewordener, suspendierter Geistlicher).

Gemeinsam ist den demeritorischen Gütern, daß ihre Extrabesteuerung dem Gemeinwohl zugute kommt, zugleich aber das Gemeinwesen die Konsumenten hartnäckig ablehnt. Etwa so wie das verabscheuungswürdige Verbrechen zugleich „Arbeitsplätze für Millionen“ schafft: „Während es einen Teil der überzähligen Bevölkerung dem Arbeitsmarkt entzieht, und damit die Konkurrenz unter den Arbeitern vermindert, zu einem gewissen Punkt den Fall des Arbeitslohns unter das Minimum verhindert, absorbiert der Kampf gegen das Verbrechen einen andern Teil derselben Bevölkerung“ (Karl Marx). Der Konsum demeritorischer Güter erzeugt nämlich eine Heerschar von Hilflosen und Helfern – über den Begriff des „Süchtigen“. Dieser Sucht-Aspekt, ebenso wie der des „Freizeitvergnügens“, wird jedoch in der Volkswirtschaftsstudie von Albers ausdrücklich nicht thematisiert.

Ausführlich und mit allerlei Formelkram wird dagegen zunächst der Erwartungsnutzenansatz im Zusammenhang einer Risikopräferenzfunktion beim Glücksspiel herausgearbeitet. Die deutsche Mittelposition – zwischen tiefsinnigem russisch Roulett („Das Recht auf Unglück“) und den albernen Amis, „who play with the balls of their sons“, bleibt dabei ausgespart, die Mathematik tendiert ja sowieso zur globalen Gleichmacherei. Das hört sich dann so an: „Es ist zu erwarten, daß nur bei kleinen Verlustmöglichkeiten die potentielle Freude hinreicht, die Aversion gegenüber monetären Risiken zu kompensieren“ (S.41). So ein Satz könnte auch über jede Aufsichtsratssitzung der Dresdner Bank in Neon aufleuchten. Hier bezieht es sich jedoch auf Glücksspiele von der Art des Mittwochslottos, wo „nur geringe Erwartungen mit der Teilnahme verbunden werden“. An anderer Stelle heißt es dazu: „Der ,Reue‘-Ansatz (von Loomes und Sugden) korrespondiert mit dem empirisch beobachtbaren Verhalten, daß Haushalte Glücksspiele mit geringen Einsätzen und hohen Gewinnen akzeptieren, aber ,Glücksspiele‘ [in Anführungsstrichen!] mit hohen Einsätzen und geringen Gewinnmöglichkeiten ablehnen.“ Diese Anführungsstriche beim Glücksspiel (warum nicht bei den „Haushalten“?) unterscheiden z. B. den kommunistischen Zocker vom profanen Black-Jack-Spieler, der Haus und Hof verballert, was ersterer – zum Glück – gar nicht erst besitzt. Für beide gilt jedoch: „Das Teilnahmemotiv ist eine Funktion des Gewinns, und die Teilnahme selbst ist als Strategie anzusehen, die Opportunitätskosten des Nutzenentgangs durch Selbstvorwürfe zu minimieren und Freude über den Gewinn zu ermöglichen ... Auf die Beweisführung, daß konkav verlaufende Nutzenfunktionen (Risikoaversion) zu konvex gekrümmten Indifferenzkurven führen et vice versa, sei hier verzichtet.“

Rand-Determinanten des Spielers als „homo oeconomicus“ verhandelt der Autor gerne in Fußnoten – Nr. 199: „Hirshleifer vermutet eine positive Korrelation zwischen Teilnahme an Spielen mit Zufallsmechanik und geringer Schulbildung, da aufgrund des niedrigen Schulabschlusses weniger auf objektive Kriterien des Spielarrangements eingegangen werden kann.“ Nr. 211 gibt den Lösegeld-Spielern recht, die eine zunehmende Verzichtbereitschaft bei steigenden Einkommen annehmen: „Für den Verlust des eigenen Lebens kann sogar Ruinbereitschaft unterstellt werden, um den Zustand ,Tod‘ zu vermeiden. Andererseits würde eine unendlich große Ausgleichszahlung für die Akzeptanz des Todes gefordert werden.“

Ziel der gesamten Studie scheint indes eine Befreiung des Glücksspiels aus seiner staatsmoralischen Fesselung und der damit einhergehenden Erziehungsdiktatur unserer „ora et labora“-Gesellschaft zu sein, ist also ein Votum für die Privatisierung, das die fortdauernde „Notwendigkeit eines Konsumentenschutzes“ in Frage stellt: „Aus dem generellen Glücksspielverbot mit Erlaubnisvorbehalt resultiert ein Angebotsmonopol des Staates“ – und das gestaltet sich äußerst widersprüchlich.

Juristisch wird dabei z. B. mit dem Begriff des „Vermögensschutzes“ operiert: Das Bundesverwaltungsgericht sah 1982 „einen theoretischen Höchstverlust von 70 DM pro Stunde als unbedenklich an, dem Hessischen Verwaltungsgerichtshof erschienen dagegen 1990 Verluste von 144 DM pro Stunde hinnehmbar ... Die Crux des Kriteriums des Vermögenswertes wird vollends deutlich, wenn man den zu erwartenden Verlust von 28.80 DM pro Stunde bei einem Geldautomaten mit dem Durchschnittseinsatz beim Zahlenlotto von 10.60 DM pro Woche vergleicht.“

Unlängst wollten wir in der (jüngst wieder geschlossenen!) Berliner Filiale des britischen Wettbüros „Ladbrokes“ auf das Schiller Theater und die Batteriefabrik Belfa wetten, daß sie den Kampf gegen ihre Abwicklung durch Treuhand und Senat gewinnen: Unter Hinweis auf das hier herrschende Rennwett- und Lotteriegesetz wurde diese Wette jedoch abgelehnt, zugelassen sind nur echte Pferdewetten. Zudem schreibt das Gesetz einen Rennwettsteuersatz von 16 2/3 Prozent vor, „was“, laut Albers, „im europäischen Vergleich als restriktiv angesehen werden muß“. Gleichzeitig gilt jedoch die Absurdität, daß Spieleinsätze, die in einer Rennvereins-Annahmestelle getätigt werden, „steuerunschädlich“ bleiben.

Dabei hatten wir mit unserer Arbeitsplatz-Kampfwette durchaus eine antizyklische Aktion im Sinn, denn ein „enger Zusammenhang zwischen gesamtwirtschaftlichem Wachstum und Wachstum der einzelnen Glücksspielausgabenarten“ ist unbestritten. „Diese Korrelation wird nur durch ,Sondereinflüsse‘ überlagert, wie sie etwa aus der Währungsreform 1948, der Einführung des Lottos ,6 aus 49‘ im Jahre 1955, der Spielbankengründungswelle Mitte der Siebziger Jahre“ oder der Einführung von DM sowie von Spielautomaten auf dem Territorium der DDR 1990 resultierten. Albers erwähnt jedoch, daß insbesondere „das Anwachsen des Höchstgewinns im Zuge der Kolonnenpreisverdoppelung des Lottos ,6 aus 49‘ im Jahre 1981 und die Einführung des Jackpots 1985 in der Folge zu einem Einsatzwachstum führten, das sich von der Einkommensentwicklung der Privathaushalte abkoppelte“.

Vielleicht war unsere Wette aber auch zu sportiv gedacht: „Für den Sportwettenmarkt scheint besonders die Entwicklung am Arbeitsmarkt von ausschlaggebender Bedeutung zu sein.“ Wie am ersten Ölpreisschock 1973/74 abzulesen war, weist die Entwicklung der Sportwetteinsätze „auf eine starke Konjunkturabhängigkeit hin“.

Interessant ist ferner, daß neue Spielbankgründungen „nicht zu einer Umverteilung des vorhandenen Nachfragepotentials führen, sondern zu neuem Spielerpotential mit weitgehend gleichen Spielgewohnheiten“, so daß auch die jüngsten Spielbankgründungen „zu einem proportionalen Zuwachs der Spielbankenabgabe für den betreffenden Landeshaushalt führen werden. Ein Konkurrenzdruck der Spielbanken untereinander ist nicht anzunehmen.“ Mit diesem Argument hatte sich jüngst bereits das neue Ostberliner Spielkasino gegen eine Schließung durch den Westberliner Senat gewehrt. Zudem wurde dort der Erhalt der Arbeitsplätze ins Feld geführt. Auch hierzu finden sich detaillierte Angaben in der Studie von Albers. 1986 zahlten westdeutsche Spielbanken insgesamt 223,5 Mio. DM Löhne und Gehälter, 60.500 DM pro Beschäftigten. Umgekehrt ging man beim Glücksspiel des kleinen Mannes, „6 aus 49“, zu Beginn noch von der Überlegung aus, daß der Mindestgewinn „dem durchschnittlichen Stundenverdienst eines Arbeiters entsprechen muß“. Mittlerweile kreisen die Marketingüberlegungen jedoch zumeist um die Höchstgewinnklasse. Sie wurde 1974 von 500.000 auf 1,5 Mio. angehoben, seit 1985 kommt es darüber hinaus mit dem „Jackpotsystem“ zur „Überwälzung nicht zur Ausschüttung gelangender Gewinne auf die nächste Veranstaltung“. Diese Ideen sind allein staatlich-steuerlicher Gier geschuldet. Während sonst die demeritorischen Güter einer Einschränkung der Werbetätigkeit unterliegen, wird für die staatlichen Glücksspielangebote immer hemmungsloser geworben: 1990 waren die Werbeausgaben dafür bereits genauso hoch wie die Werbung der Bundesbahn und zweieinhalbmal so hoch wie die Werbung der Bundespost, zudem kommt der Ziehung der Lottozahlen im öffentlich-rechtlichen Sender geradezu ein Staatsnachrichtenwert zu – kostenlos. Für die Fernsehlotterie und die Glücksspirale wurde darüber hinaus das TV- Werbeverbot nach 20 Uhr aufgehoben. „Die Bemühungen einiger Blockunternehmen, zielgruppengerecht besonders jüngere Erwachsene höherer Bildungsschicht und Frauen werblich anzusprechen, demonstrieren ebenfalls, daß das staatliche Interesse sich allein an der fiskalischen Ergiebigkeit der Glücksspiel-Besteuerung orientiert und nicht, wie behauptet, am Konsumentenschutz.“ Dieser könnte für den Autor sowieso nur noch in bezug auf die Teilnahmebereitschaft von Arbeitslosen an Geldautomaten-Spielen geltend gemacht werden, wo sich ein „Nachfrageverhalten“ andeutet, wie es in der „Regulierungsbegründung“ generell unterstellt wird. Und die hält Albers wiederum für nur „vorgeschoben“, um nämlich verbraucherfreundlichere Glücksspiel-Anbieter vom Markt fernzuhalten oder sie höchstens in (Baccarat-)Nischen zuzulassen. Das hat im Endeffekt dazu geführt, daß unsere Schlipszwang- Spielbanken ungefähr so freudlos sind wie Arbeitsämter oder staatliche Blockbordelle.

Als „Fazit“ soviel: „Da eine Aufrechterhaltung des regulativen Regimes dieses Marktes aus ,demeritorisch‘ begründetem Konsumentenschutz eine gänzlich anders gestaltete Angebotspolitik notwendig machen würde, ... ist die staatliche Regulierung des bundesdeutschen Glücksspielmarktes in der vorliegenden Form nicht angebracht.“ Mit anderen Worten: Auch daß jeder seines Glücksspiels Schmied ist, muß erst noch mühsam erkämpft werden.

Norman Albers: „Ökonomie des Glücksspielmarktes in der Bundesrepublik Deutschland“. Beiträge zur angewandten Wirtschaftsforschung, 1993