Arier, Vegetarier etc.
: Noch ein Holocaust

■ Paradigmenwechsel bei „Emma“: „Frauen und Rassismus“ ist out, jetzt ist „Frauen und Tierschutz“ in

In der jüngsten Ausgabe der Frauenzeitschrift Emma, die inzwischen nur noch zweimonatlich erscheint und dafür soviel wie ein Taschenbuch kostet, lesen wir in einem Artikel über „Tier-KZs“: „Ich erinnere mich genau an die erste Zahl, die mich 1982 elektrisierte: sechs Millionen Tierversuche jährlich in der Bundesrepublik. Der Gedanke an sechs Millionen ermordeter Juden war zwingend für mich. Und die äußeren Ähnlichkeiten der modernen Tiervernichtungsanstalten mit KZs wird niemand bestreiten können. Es gibt alles von der Massenfolter bis zu den Vergasungsöfen und Krematorien, einschließlich der ordentlichen Buchführung ... Nur ein bißchen schicker ist alles geworden, mit viel Chrom und High-Tech. Die Opfer aber sind noch immer aus Fleisch und Blut ...“

Was fällt uns dazu ein? Zuerst einmal, daß Adolf Hitler kein Fleisch aß und daß er dem Gedanken des Tierschutzes sehr positiv gegenüberstand. Ferner, daß Hermann Göring Vivisektionen mit der Begründung verboten hat, „es habe nicht weiter geduldet werden können, daß das Tier einer leblosen Sache gleichgestellt werde“.

Alice Schwarzer befindet sich mit ihrer Emma also in bester Gesellschaft. Das antifaschistische Engagement, auf das sich die Herausgeberin immer wieder und vor allem dann beruft, wenn sie sich über Juden, Halbjuden und vermeintliche Juden ausläßt, basiert offenbar auf der Liebe zu ihrer Hauskatze „Sarah“, die uns zugleich mit der Aufforderung, Emma zu abonnieren, im Bild vorgestellt wird. Nun sind sowohl die Zeitschrift als auch ihre Herausgeberin ein wenig in die Jahre gekommen. Der Kampf für die Legalisierung der Abtreibung, den beide seit dreißig Jahren führen, hat die Phase erreicht, in der die Rolle der Frauen in sämtlichen Revolutions- und Friedensbewegungen der Welt – von Alaska bis Simbabwe – bis in alle Einzelheiten dokumentiert und analysiert worden ist; das Bemühen um die Gleichberechtigung der Frauen hat zumindest dazu geführt, daß in allen größeren Kommunen auch eine Frauenbeauftragte tätig ist. Nach den Hauptwidersprüchen, die erfolgreich gelöst worden sind [schön wär's ja, d. s-in], können nunmehr die vielen Nebenwidersprüche behandelt werden. Und da mußte Emma ganz automatisch auf die Leiden der stummen Kreatur kommen, denn „daß die Sache der Tiere auch Sache der Frauen ist“, das haben die Feministinnen „längst erkannt“.

Und wir, die wir uns gelegentlich ein Wienerwald-Brathuhn mit unserem Hund „Itzik“ teilen, ohne uns der Barbarei, die wir begehen, bewußt zu werden, werden nun als Mittäter entlarvt. Vor unser aller Augen passiert ein gewaltiger Holocaust, der jährlich sechs Millionen Tiere das Leben kostet, und wir haben noch nicht einmal gemerkt, daß die Endlösung der Hühnerfrage längst begonnen hat. Die Vergasungsöfen arbeiten, die Krematorien dampfen, und wir? Wir überlegen uns, ob wir die Hühnerschnitzel panieren oder in Weißwein dünsten sollen. Ebenso wie die Menschen, die nicht gesehen haben wollen, wie die Züge nach Dachau, Sachsenhausen und Bergen-Belsen rollten, denken wir uns nichts dabei, wenn wir im Supermarkt an frischen Filetstreifen und gewürfelten Gulaschstücken vorbeigehen. Die Leberpastete schreit zum Himmel, der Schinken krümmt sich vor Schmerzen, doch wir sehen nichts, wir hören nichts. Mit Ausnahme der Emma-Frauen, die kein Fleisch mehr essen wollen, „zumindest zur Zeit nicht“.

Dermaßen geläutert, kann es nicht lange dauern und Emma wird entdecken, daß auch Juden tote Tiere verspeisen. Dann wird die Herausgeberin die Frage stellen, die sie bereits öfter gestellt hat, zuletzt an den Fotografen Helmut Newton, wie es denn komme, daß aus Opfern Täter werden und warum denn die Juden aus ihrer schrecklichen Geschichte nichts gelernt hätten. Worauf wir uns ein extra dick belegtes Pastrami-Sandwich bestellen und über unsere Mitverantwortung an diesem Holocaust nachdenken werden. Wenn wir schon keine Arier sein können, als Vegetarier hätten wir eine Chance gehabt. Henryk M. Broder