WG im Hotel

■ Community-Wohnen in Vancouver

Wohngemeinschaft im Hotel? Ja, sagt die freundliche Managerin des „Waterfront Centre Hotel“ im kanadischen Vancouver über ihren „Entree Gold“-Bereich im zehnten Stock des glasigen Protzbaus. „Diese Art Wohngemeinschaft“ sei „die neue Philosophie“. Statt unpersönlicher Massenabfertigung eine etwas familiärere Atmosphäre durch Wohnen in kleinen Gruppen. „So geht der Kontakt viel leichter, was auch Manager sehr schätzen. Viele klagen doch, daß sie in normalen Hotels so isoliert sind.“ Bei 210 Dollar pro Tag ist in der Edelherberge auf diese Weise auch die Geselligkeit inklusive.

Die 20-Zimmer-Etagen-WG im Waterfront hat ihre eigene Küche und einen eigenen Gemeinschaftsraum. Man kennt sich spätestens nach dem zweiten gemeinsamen Frühstück (unter anderem acht Sorten Müsli), das in Kleingruppen eingenommen wird und für das im übrigen, ganz wie im richtigen WG-Leben, extra bezahlt werden muß. Einmal sind zwei kleine Gruppen zu beobachten, wie sie bei Tee und Kaffee die Tische zusammenrücken: Der große WG- Tisch ist geboren. Und tatsächlich, bei der Verabschiedung gibt es Umarmungen dieser sonst so distanzierten Menschenspezies, mit echtem Hautkontakt.

Für Getränke, auch Alkoholika aller Art, kommt kein Kellner. Man bedient sich autonom aus Bar oder Kühlschrank und trägt vertrauenswürdig in eine Strichliste ein – wie früher die Pullen aus dem Aldi-Billigbier-Kasten. Auch die Abrechnung erfolgt wie damals monatlich, nur nicht mehr bar aus den Bafög-Restbeständen zum Monatsende, sondern per Credit- Card-Abrechnung. Was noch ein wenig an Authentizität zum Original fehlt: das Schlangestehen vor dem Gemeinschaftsbad, ätzende Debatten um Putzpläne und die Frage, ob die hohe Fluktuation der MitbewohnerInnen nicht doch dem typischen WG-Geist zuwiderläuft. Bernd Müllender