"Das Wort neu ist abgedroschen"

■ Oskar Pastior, Dichter aus der Familie der Wörtlichnehmer, über neue Arbeiten und den Unterschied von Stulle und Stille

Oskar Pastiors neues Buch „34 Sestinen“ erscheint dieser Tage im Carl Hanser Verlag. Der Wortwerker Pastior bastelt darin, wie der Titel schon ahnen läßt, an der frisch ausgebuddelten lyrischen Gattung der Sestine, die sich in der Troubadourzeit großer Beliebtheit erfreute. (In Deutschland ist das reimschiebende Gedicht vorwiegend im Barock oder etwa bei Friedrich Rückert zu finden.) Pastior, ingeniöser Techniker von Anagrammen, Palindromen und Sonetburgern, nennt das Produkt seines Spiels mit der vergessenen Form „eine kleine Kunstmaschine“.

Der Gedanke, Kunst in Serie zu produzieren, ist für Oskar Pastior nicht nur eine hübsche Metapher. Er hat einmal bekannt: „Obwohl mein Vater nicht nur Zeichenlehrer war, sondern später auch einmal starb, hat meine Mutter mich zwar sowohl in Siebenbürgen als auch in jenem Jahr, das für mein weiteres Leben ausschlaggebend werden sollte, aber doch geboren. Ähnliche komplexe Sachverhalte sind seither in zunehmendem Maße daran schuld, daß ich nicht nur Gedichte schreibe, sondern auch andere nicht ... Später war ich Kistennagler, Betonmixer, Wohnungsbaukostenvoranschlagkalkulator ... Trotzdem, auch nach ein paar geographisch weiteren Hupfern und Einsichten, krieg ich noch immer eine komische, das heißt freiberufliche Gänse- und Vagantenhaut, wenn ich so sag: ,Ich bin Poet‘ – oder gar ,Ergo sum‘. Suspekt, suspekt ... Ansonsten erkläre ich hiermit, daß ich im Nageln von Butterkisten weniger gut bin als im Nageln von Auberginenkisten ...“

Der Leser konstatiert also: O.P., in Rumänien geboren, schreibt freiberuflich Gedichte, andere nicht, ist geographisch gehupft – nach Berlin nämlich. Und weiter?

taz: Sie schreiben in einem kleinen Text von einer lustwandelnden Stulle. Es gibt Menschen, die Bücher wie Stullen behandeln. Sie schlagen sie sorgsam ein, um das Gedankengut dann sukzessive aufzufuttern. Herr Pastior, Sie sind Bäcker geistiger Stullen. Können Sie von Ihrem Handwerk leben, und glauben Sie, Mäuler stopfen zu können?

Oskar Pastior: Im Kontext des Gedichtes von der „säuselnden Stulle im Palmengarten“ hört man es: Die Stulle ist nichts anderes als der Hot dog von „Stille“ – konsumierbar gemacht, fürs Ohr natürlich, durch das falsche, fette „u“ (anstelle des lyrischen „i“). Erst im ganzen Wortfeld des Textes erschließen sich einzelne Wörter. Ich lebe, wie Sie sehen. Freiberuflich, mit allen Risiken des Lebens. Mäuler stopfen kann ich nicht. Aber verstopfte Ohren hoffe ich ein wenig zu entschmalzen, hellhörig zu machen für Unterschiede. Eben zwischen „Stille“ und „Stulle“.

Ein Zitat: „Keinesfalls denke ich an eine normative Poetologie, an ein Kochbuch, an einen Leitfaden der Poesie.“ Vakante Poesie ist seit den Futuristen und Dadaisten populär. Das ist lange her. Glauben Sie, sprachlich noch etwas Neues schöpfen zu können?

Wenn Sie heute Altes lesen, lesen Sie es neu. So wie jeder Verstehensakt ist auch jeder Sprechakt (oder Schreibakt) jedesmal neu. Das Wort „neu“ hingegen ist unerträglich abgedroschen.

Nach Ihrem autobiographischen Text kämen Sie aus einer „kraus waldigen ... Landschaft“. Ich nehme an, daß die Literaturpäpste Karl Kraus und Herwath Walden gemeint sind. Nun läßt sich in Ihrer Dichtung ein gewisser Schwitters-Charme nicht leugnen. Sind also Ihre literarischen Anknüpfungspunkte in der klassischen Moderne zu finden?

Es gibt auch die Krause Glucke (den Pilz) und das Buch „Walden“ von Henry David Thoreau. Auch qualvolle Halskrausen gibt es. Und Straußwolldinge. Man darf, man soll bitte assoziieren. Die Familie der Wörtlichnehmer, der ich mich zugehörig fühle, reicht von Gertrude Stein bis Helmut Heißenbüttel, von Quirinus Kuhlmann, Lawrence Sterne, Lewis Carroll und Clemens Brentano etwa – bis zu Unica Zürn, H.C. Artmann, Friederike Mayröcker. Das heißt auch zu vielen Autoren des Bielefelder Colloquiums Neue Poesie.

Sie sind gebürtiger Siebenbürge, also aus Rumänien. Rumänische Poesie ist als ernsthaft und tief bekannt. Ihre Texte lassen sich in der U-Bahn, mit der Liebsten beim Weine oder beim Kindergeburtstag denken. Liegt Ihre geistige Tradition weniger in Rumänien?

Da meine Muttersprache Deutsch ist, bin ich mit deutschen Büchern und Unbüchern aufgewachsen. Meiner relativen Mehrsprachigkeit (siehe biographisches Umfeld und Lebensstationen) verdanke ich die heilsame Aufweichung des normativen Denkens, das den unseligen Ideologien ja immer Vorschub leistet.

In der Erzählung „Die blinde und die sehende Göttin“ von Tommaso Landolfi pflegt ein Dichter seine Gedichte durch eine Urne mit Handkurbel zu komponieren. In dieser Urne befinden sich einzelne nach statistischen Kriterien auf Kärtchen geschriebene Wörter, die nach dem Zufallsprinzip herausgekurbelt und dann zu Gedichten gefügt werden. Arbeiten Sie in ähnlicher Form?

Eindeutig: Nein. Mir genügt das Ohr im Kopf – und die potentielle Kraft jeweils wechselnder Versuchsanordnungen, das heißt Schreibverfahren. Meine Zacken und Macken sind dabei nicht außerhalb. Sie gehören dazu.

Ihre Sammlung sogenannter „Wechselbälger“ ist in Dreizeilerstrophen angeordnet. Das erinnert an die Terzinenform. Machen Sie damit gegen die Bipolarität des Denkens Front, oder glauben Sie an eine Sinnlichkeit im Ungeraden?

Da haben Sie recht. Es gibt keine Symmetrie.

Es gibt die These, daß immer mehr Menschen weniger Gedichte lesen. Wie denken Sie darüber?

Ich weiß nicht, ob die These stimmt. Die Wirklichkeit selber ist ein virulentes Sprechproblem – nur die Arten des Schreibens satteln zur Zeit grobschlächtig um. Dagegen schreibe ich. Differenziert und rücksichtslos. Auf dem Papier.

Ist von Ihnen demnächst ein frisches – ich sage bewußt nicht „neues“ – Papier, also ein Buch zu erwarten?

Im Februar erscheint im Carl Hanser Verlag in München „Eine kleine Kunstmaschine. 34 Sestinen.“ Vier dieser Sestinen sind übrigens kürzlich mit Graphiken von Klaus Cylla in einer sehr schön gemachten limitierten Edition der „Galerie auf Zeit“ bei Thomas Günther in Berlin erschienen.

Eine abschließende Frage: Die Auberginenkiste spielt in Ihrem Leben eine zentrale Rolle. Eine Zeitlang nagelten Sie in Rumänien Auberginenkisten. Zitat: „Es lebe die Auberginenkiste, sie ist eine Naturschönheit.“ Wo liegt der Unterschied zwischen einem Gedicht und einer Auberginenkiste?

Ein Gedicht besteht aus mehreren Wörtern. Die Auberginenkiste besteht aus einem Wort. Freilich aus einem zusammengesetzten.

Interview: S. Müller-Brömsel

Pastior liest am Do., 21 Uhr, im Berliner Buchhändlerkeller, Carmerstr., Charlottenb.