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Des is Amerika

Kinder von Überlebenden filmen ihre unwilligen Eltern: „Will My Mother Go Back to Berlin?“; „Wahl und Schicksal“  ■ Von Mariam Niroumand

Home Movies traten, als sie sich das erste Mal bemerkbar machten, immer als die Rache des kleinen Mannes auf. „How the other half lives“ war das Motto, unter dem man Mutter auf der Couch, die Gartenparty, später auch die hausgemachte Kurzpornographie herzeigte. Home Movies waren auch ein Antidot gegen den Hauptfilm aus Hollywood; die Erzählung dessen, was zu Hause passiert, hat keinen Höhepunkt und kein Happy- End, alle sind Protagonisten eines Fortsetzungsromans.

Nur folgerichtig, daß Home Movies zum Medium par excellence werden, wenn Kinder von Überlebenden der Shoah ihre Eltern filmen. Der Prototyp dieser Filme war „Urban Peasant“, der im Grunde nichts weiter ist als die Präsentation von Aufnahmen der Familie des New Yorker Filmemachers Ken Jacobs, die dessen Tante Leah ihm eines schönen Sonntags tiefgefroren überreicht hatte. Neben dem Hühnchen im Kühlschrank lagen Bilder von einem normalen Ausflug in Brooklyn; Jacobs schnitt einfach mehrere Lektionen für die jiddische Sprache dazwischen. In deren letztem Satz heißt es: „Des is Amerika. Alles ist gut.“

„Choice and Destiny“, ein Forumsbeitrag von Tsipi Reibenbach, ist im Hause ihrer Eltern in Tel Aviv gedreht. Aus dem Radio tönen Nachrichten in Jiddisch, die Welt hält Einzug — und die Vergangenheit: Lech Walesa hat vor der Knesset gesprochen und um Entschuldigung gebeten für das, was den Juden in seinem Land geschah und zum Teil durch seine Landsleute angetan worden ist. Man begeht den 50. Jahrestag des Aufstands im Warschauer Ghetto, und die Eltern der Regisseurin Yitsak und Fruma, hören mit versteinerten Gesichtern zu. Dann gibt es Essen, in diesem Film wird immer gegessen. Die Uhr tickt. Gefillte Fisch, morgens ein Brot, Haferschleim. Abends im Bett liegt Fruma mit offenen Augen, sie schweigt zunächst nur.

Tsipi Reibenbach ist Ende der vierziger Jahre in Polen geboren und in den Zeltunterkünften aufgewachsen, die Israel den Immigranten zur Verfügung gestellt hatte. Sie wurde mit dem unguten Gefühl groß, daß ihre Eltern nicht die tough guys waren, die sie sich gewünscht hätte, sondern Schwächlinge, die sich nicht gewehrt hatten, die immer noch die Sprache des Ghettos sprachen — ohne allerdings genauer zu wissen, was geschehen war.

Ahnungsvoll fuhr sie zunächst, wie so viele Filmemacher, nach Polen, Österreich, in die Tschechoslowakei, gestand sich aber ein, daß es dort für sie nichts zu sehen gab. Die eigentlichen Spuren waren das Arrangement des Eßbestecks, die offenen Augen in der Nacht, die panische Wut, mit der Vater weggeworfenes Brot aus dem Müll fischte, und die vier Sicherheitsschlösser an der Tür, die Mutter auch dann alle verschließt, wenn ihr Mann nur mal um die Ecke geht um mit seinen Freunden zu plaudern.

Natürlich erfüllt die fast penetrante Wiederholung des Alleralltäglichsten auch ein ganz privates Bedürfnis: Es geht ihnen gut, sie machen weiter, sie haben jetzt zu essen, sie werden immer so weiter machen.

Während die Regisseurin sich selber sehr zurücknimmt, versucht ihr Landsmann Micha Peled — nicht immer ganz erfolgreich — sich gegen seine Mutter zu behaupten. Deren Not wiederum besteht darin, eine der Entkommenen zu sein; 1937 kam sie als Berliner Mitglied der zionistischen Jugendbewegung nach Israel, wurde Landwirtin, zog allein ihren Sohn auf und lehnte es ab, je wieder einen Fuß nach Deutschland zu setzen. Peled bringt von seinem Trip nach Berlin, auf dem er das Haus filmte, in dem seine Mutter als Studentin gewohnt und ihre ersten Romanzen erlebt hatte, eine Einladung des Berliner Senats mit: „Sehr geehrte Frau Pelonovitz: Bitte besuchen Sie Berlin.“ Peleds Mutter lehnt ab. Wenn sie miteinader reden, spielt im Hintergrund leider „Bist du bei mir“. Peled will seine Mutter partout als Jekke, als Deutsche in Israel, vorstellen, und läßt es erst bleiben, als die alte Frau ihm endlich den Zusammenbruch bietet, auf den er anscheinend gewartet hat. Schließlich berichtet er noch, daß seine Mutter Lanzmans „Shoah“ in voller Länge dreimal hintereinander gesehen hat, um sich zu bestrafen.

Man merkt genau, daß diese Generation von Home Movies noch eine Weile bräuchte, bis alle Beteiligten gleichermaßen zu ihrem Recht kommen. Die Zeit wird knapp.

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