Wie arglos sind die Männer...

■ ...und heimtückisch die Frauen: Sie morden immer argloser Männer. Und bestehlen arglose Ladenbesitzer. Ein Gespräch mit der Juristin Monika Frommel über einige Besonderheiten des deutschen Strafrechts - ...

taz: Justitia, Symbol der Gerechtigkeit, ist zwar eine Göttin. Aber wenn Frauen vom Strafrecht betroffen sind, dann ist von göttlicher Gerechtigkeit keine Rede mehr.

Monika Frommel: Es gibt in der Strafgesetzgebung einige Sonderbarkeiten, die gleich auf den ersten Blick auffallen. Dazu gehört der Heimtückemord...

...angeblich eine Spezialität von Frauen.

Wegen Mordes wird bestraft, wer die Arg- und Wehrlosigkeit ausnutzt. Nach der Alltagsmoral würden wir sagen, besonders verwerflich handelt, wer die Wehrlosigkeit ausnutzt, ganz egal, ob die Person auch arglos ist. Denn gerade Menschen, die Angst vor einer Gewaltat haben und dennoch ermordet werden, haben unser Mitleid. Das Gesetz aber basiert auf dieser sonderbaren Formulierung von der Arg- und Wehrlosigkeit. Rechtshistorisch ist es wohl eindeutig, daß hier nur Taten zwischen Männern im Bewußtsein der Gesetzgebung waren. Wer seinen Gegner nicht im „anständigen Kampf“, sondern von hinten tötet, der ist ein Mörder. Der andere ist nur Totschläger. Das ist die Moral einer kämpferischen Männergesellschaft.

Frauen können einen Gegner kaum mit einem Handstreich erledigen. Wenn sie jemanden umbringen wollen, müssen sie sich etwas anderes überlegen. Rechtlich würde das dann immer unter Heimtücke fallen?

Ich vermute, daß der Gesetzgeber zu Beginn des 20. Jahrhunderts und auch während der Nazizeit 1941 genau das wollte. Eine Frau, die einen Mann umbringt, der arglos war, soll als Mörderin bestraft werden: zum Beispiel die Giftmörderin oder die Frau, die heimlich jemanden im Schlaf tötet. So gesehen wirkt sich dann diese sonderbare Kämpfermoral zu Lasten von Frauen aus. Dies nahm die Rechtsprechung in den letzten 15 Jahren teilweise zurück.

Woran zeigt sich das?

Noch 1985 wurde eine Frau wegen Mordes zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt, die ihren tyrannischen Mann umgebracht hat. Seit damals läßt sich aber feststellen, daß Beziehungstaten – wenn es irgendwie geht – von den Gerichten aus dem Mordbereich herausgehalten werden. Sei es, daß der Mann der Täter ist, wie in 90 Prozent der Fällen, sei es, daß die Frau Täterin ist. Und da Frauen – wenn überhaupt – sich fast nur in einem Beziehungskonflikt zu einer solchen Tat hinreißen lassen, werden nun auch ihre Taten milder behandelt. Allerdings werden sie als Opfer von Gewalttaten auch weniger ernst genommen. Die Rechtsprechung neigt dazu, in Beziehungskonflikten den Täter, manchmal auch die Täterin besser zu verstehen als das Opfer.

Ist unsere Justiz gegenüber Frauen gerechter geworden?

Der Frauenaspekt hat die Gerichte sicher nicht interessiert. Sie sind bei Taten im persönlichen Bereich insgesamt psychologischer geworden.

Zeigt sich in Verhandlungen ein geschlechtsspezifisches Rollenverständnis?

Die Justiz hat Stereotype von weiblichem und männlichem Verhalten. Und wenn Personen in irgendeiner Weise innerhalb ihres Geschlechtsstereotyps nachvollziehbar sind, dann können sie mit Verständnis rechnen. Bei Täterinnen finden sich häufig wohlwollend patriarchale, psychologisierende und pathologisierende Urteilsbegründungen. Im Ergebnis werden diese Frauen nicht hart behandelt. Bei männlichen Tätern steht zwar die Aggressivität im Vordergrund der Tat, wird aber vor Gericht nicht weiter thematisiert. Statt dessen spielt der Tatanreiz, den das Opfer gegeben hat, eine große Rolle. Darin steckt eine Diskriminierung des Opfers. Ich generalisiere jetzt sehr stark, aber dieses Muster kann man finden. Und das ist natürlich eine Diskriminierung von Frauen – aber eine viel raffiniertere als früher.

Was würden Sie dagegen tun?

Ein Merkmal wie Heimtücke gehört abgeschafft, und man müßte Konflikt und Affekt angemessen in der Gesetzgebung thematisieren. Im übrigen muß man sich klarmachen, daß Kriminalität im wesentlichen eine Männersache ist. Frauen werden sozial kontrolliert, nicht über das Strafrecht. Selbst in Gebieten, in denen man es nicht vermuten würde, dominieren männliche Täter: nämlich beim Ladendiebstahl ohne erschwerende Umstände. Auch da kommen Frauen maximal auf etwas mehr als ein Drittel der Täter.

Im Vorurteil ist Ladendiebstahl ein Hausfrauendelikt.

In der polizeilichen Kriminalstatistik steht: Einfacher Ladendiebstahl gehört zu den Delikten mit dem höchsten Anteil weiblicher Tatverdächtiger. Wenn man genau hinschaut, heißt das, daß Frauen zwar relativ häufiger bei diesen Bagatelldelikten vertreten sind als sonst – trotzdem ist ihr Anteil noch erstaunlich gering. Vor allem wenn man die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung bedenkt: Frauen halten sich häufiger in diesen Einkaufszentren auf und hätten von daher mehr Gelegenheiten zu Diebstählen. Nur bei wenigen Delikten findet sich außerdem so ein beachtlicher Kinderanteil. Bezogen auf ihren Bevölkerungsanteil werden Jugendliche hier am häufigsten als Tatverdächtige ermittelt. Männliche Jugendliche dominieren also...

...wie bei rechtsradikalen Gewalttaten.

Bei den Rechtsradikalen ist das evident. Es gibt einen nicht unerheblichen Teil rechtsorientierter junger Frauen. Diese lehnen aber offene Gewalt ab. Die Skinheadszene ist männlich dominiert, nazistische Gruppierungen ebenso.

Dafür gibt es auf der anderen Seite Bereiche, in denen fast ausschließlich Frauen Opfer sind: bei Sexualstraftaten.

Hier tut die Gesetzgebung zu wenig. Es gibt noch keinen Versuch, dieses Rechtsgebiet auf eine rationale Grundlage zu stellen.

Vergewaltigte Frauen haben die Erfahrung gemacht, daß sie bei einem Prozeß als die eigentlich Schuldigen behandelt werden, die den Täter provoziert oder ermutigt haben. Bewegt sich da etwas im Bewußtsein der Richter?

Es ist sehr kompliziert. Die Gesetzgebung hat sich wenig, die Rechtsprechung hat sich widersprüchlich verändert. Nach den Notrufinitiativen Ende der 70er Jahre gab es deutliche Verbesserungen bei der Polizei und bei den Staatsanwaltschaften. Es sind zum Beispiel Schwerpunktstaatsanwaltschaften gebildet worden. Die höchstrichterliche Rechtsprechung aber hat in den späten 80er Jahren auf diesen frauenpolitischen Impuls eher restriktiv reagiert. Sie hat den Gewaltbegriff so eng gelassen, wie er war, Alternativen nicht aufgezeigt und auch Auffangstatbestände wie die tätliche Beleidigung nicht gelten lassen. Die obersten Richter haben lange Zeit die traditionale Rechtsprechung bestätigt. Im Moment gibt es aber Anzeichen, daß sich die Situation öffnet. Wenn eine Frau sich in einer diffusen Bedrohungssituation nicht wehrt, dann neigen Instanzgerichte – und nun offenbar auch der Bundesgerichtshof – dazu, dies nicht als Einwilligung in den Geschlechtsverkehr zu werten, sondern unter die Bedrohung zu subsumieren. Daß heißt, wir haben zur Zeit eine widersprüchliche, aber etwas offenere Rechtsprechung.

War es bei den Richtern bisher der blanke Chauvinismus?

Es ist ein Affekt gegen frauenpolitische Aktivitäten. Der scheint aber nicht sehr stabil zu sein, denn die Widersprüche sind ja auch offenkundig. Außerdem wird in anderen Bereichen der Gewaltbegriff ausgeweitet, da kann man ihn bei einer Vergewaltigungssituation nicht bewußt eng fassen. Und der Kritik der Presse sahen sich die Richter wohl auch auf Dauer nicht gewachsen.

Was müßte sich an der Gesetzgebung ändern?

Es müßte eine frauenpolitische Initiative quer zu allen Parteien entstehen, die mit Expertinnen eine grundlegende Neukonzeption des gesamten Sexualstrafrechts überlegt. Ich sehe dies aber nicht. Es gibt innerhalb der Grünen und der SPD Expertinnenwissen, es gibt auch innerhalb der Frauenunion Vorschläge, das Sexualstrafrecht allgemein zu verschärfen. Konzeptionen aber gibt es nicht. Und man kann nicht einfach populistisch einzelne Aspekte herausgreifen, man muß sich eine Gesamtkonzeption überlegen.

Behandeln Richter und Richterinnen Sexualdelikte unterschiedlich?

Die Atmosphäre bei der Verhandlung ist sicher eine andere. Aber ich würde nicht sagen, daß das auch zu anderen Ergebnissen führt. Es gibt auch in der Strafjustiz Richterinnen, die das Verhalten eines weiblichen Opfers nicht mehr nachvollziehen können. Möglicherweise wehren sie eigene Bedrohungen stark ab und kommen zu einem Urteil, das aus der Sicht der betroffenen Frau nicht einfühlsam ist. Viele Fehlurteile aber können vermutlich durch blanken Chauvinismus erklärt werden. Deshalb wäre ein größerer Frauenanteil im Justizapparat insgesamt hilfreich.

Sind Sie dafür, das Sexualstrafrecht zu verschärfen?

Ich bin überhaupt nicht für eine Verschärfung. Diejenigen, die wegen Vergewaltigung und sexuellen Mißbrauch verurteilt werden, bekommen auch eine harte Strafe. Es gibt aber völlig unverständliche Freisprüche, und es gibt Verfahren, die sich über mehrere Instanzen hinziehen, weil das Urteil mit der Revision immer wieder erfolgreich angegriffen wird. Das ist eine Tortur für die Betroffenen.

Man könnte auch durch eine kluge Kombination von zivilrechtlichen, familienrechtlichen und strafrechtlichen Sanktionen das Problem insgesamt besser regeln. Ich glaube nicht an die sittenbildene Kraft des Strafrechts, ich glaube lediglich daran, daß sich eine Gesellschaft eine unsinnige Strafrechtsanwendung nicht leisten kann. Im Moment ist in diesem Rechtsgebiet kein konsistentes Reaktionsmuster erkennbar. Es kommt sehr darauf an, an welche Richterin oder welchen Richter sie geraten. So wird jeder Prozeß zu einem undurchschaubaren, risikoreichen Unterfangen.

Das Gespräch führte Bascha Mika

Dr. Monika Frommel ist Professorin an der Kieler Universität und leitet das dortige kriminologische Institut.