Männer atmen Frauen was vor

■ Die etwas andere Art, zur Welt zu kommen: Die vier Hebammen des einzigen Geburtshauses in Ostberlin haben alle Hände voll zu tun

Das einzige Geburtshaus im Ostteil Berlins ist bis Juli ausgebucht. Obwohl in der Hauptstadt immer weniger Babys das Licht der Welt erblicken, sind die Anmeldelisten der vier Hebammen am Prenzlauer Berger Arnimplatz voll. Als Spitzenmonat erwies sich Wonnemonat Mai. Flaute hingegen war im November.

Gerade gab's ein Jubiläum: Die 3.030 Gramm leichte Fatima wurde als 222. Baby in dem mit Kiefernholz-Möbeln eingerichteten Zimmer geboren – allerdings nicht auf dem Doppelbett. Seit der Eröffnung des Hauses vor zwei Jahren haben erst vier Frauen in der üblichen horizontalen Stellung entbunden. Die 27jährige Hebamme Anja Tatschke plädiert zudem dafür, daß die Mütter selbst entscheiden, wann sie ihr Kind in den Arm nehmen. „Viele bewundern es noch einen Moment, ohne es hochzunehmen.“ Das sei wichtig für die künftige Beziehung.

Die werdenden Väter sind bei 99 Prozent der Entbindungen dabei und müssen teilweise Schwerstarbeit leisten. Für die hängende vertikale Gebärstellung steht zwar eine Sprossenwand bereit, doch viele Frauen ziehen ihren Mann zum Festhalten vor, berichtet die Hebamme. Nach ihrer Erfahrung erweisen sich die Herren als regelrechte Atemkünstler. Sie erinnern sich im entscheidenden Augenblick besser an die Übungen und atmen ihren Frauen perfekt etwas vor.

Die werdenden Mütter entscheiden sich erst während der letzten Wehenphasen für ihre Geburtsstellung: Überwiegend passiert's im Vierfüßlerstand. „Was einer Frau guttut, kann die andere durchaus als unangenehm empfinden“, weiß Frau Tatschke. Für die große dreieckige Badewanne entschied sich kürzlich spontan Josephin Thomann. „Im warmen Wasser konnte ich mich am besten entspannen.“ Töchterchen Nuria schaut inzwischen schon ganz munter ihrer Mutter beim Wöchnerinnen-Turnen zu. Wie für Frau Thomann liegt das Motiv der Schwangeren, die eine alternative Entbindung wählen, vorrangig in der Abneigung gegen die kalte Atmosphäre in den meisten Krankenhäusern. Finanziell ist die andere Art der Geburt durchaus erschwinglich: 400 Mark kostet das freudige Ereignis. Insgesamt wurden 1992 von 29.468 Berlinern 698 außerhalb einer Klinik geboren.

Mediziner und Hebammen in Kliniken stehen sowohl den Geburtshäusern – ein weiteres gibt's in Charlottenburg – als auch den Hausentbindungen eher skeptisch gegenüber. Der Direktor der Kinderklinik der Charité, Professor Ludwig Grauel, hat „nichts gegen Geburtshäuser, wenn die Hebammen bei Unregelmäßigkeiten rechtzeitig in eine Klinik einweisen“. Er habe schon erlebt, daß es bei Frauen mit einem normalen Schwangerschaftsverlauf plötzlich unter der Geburt zu Komplikationen kam. Ebenso sind die Erfahrungen der Hebamme Christel Nehrling: „Dann geht es um Sekunden.“ In einer solch brenzligen Situation bliebe nur noch Zeit, die Frau durch eine Pendeltür in den Operationssaal zu schieben.

Anja Tatschke hingegen versichert: „Wenn sich die kleinsten Komplikationen abzeichnen, verweisen wir an ein Krankenhaus. Wir arbeiten gut mit der nahegelegenen Klinik Maria Heimsuchung und dem Virchow-Krankenhaus zusammen.“ Bisher mußten etwa 20 Entbindungen abgebrochen und die Frauen ins Krankenhaus eingeliefert werden, was weder für Mutter noch Kind nachteilige Folgen hatte. Zu Risikoschwangeren gehören zudem Frauen mit Bekkenendlagen, hohem Blutdruck, Diabetes sowie Herz- und Kreislauferkrankungen. „Auch wenn wir auf High-Tech weitgehend verzichten“, sagt die Hebamme, „wird im Geburtshaus nicht ums Feuer getanzt.“ Marion Schierz (ADN)