Avant to hold your hand

Phil Solomon & Stan Brakhage, zwei Vertreter des amerikanischen Avantgarde-Kinos zwischen 1958-1989, zwischen Action-painting und Melodram, auf Tournee in Europa  ■ Von Stefan Grissemann

Phil Solomon ist ein Pyrotechniker, eine Art Action-painter des Kinos: Im eigenen Körperrhythmus zerkratzt er Zelluloid oder läßt das Weiß des Projektionsstrahls in einer Serie von Lichtblitzen explodieren. Grundfarben des gefundenen Materials, Rot und Blau flackern auf, Handgemaltes wird gespenstisch belichtet. Zusammen mit Stan Brakhage, dem Theoretiker, Filmemacher und Chronisten des amerikanischen Undergrounds, hat Phil Solomon vor wenigen Wochen „Elementary Phrases“ fertiggestellt, einen vorwitzigen Versuch in Sachen projizierte Kino-Malerei.

In der Zusammenarbeit von Solomon und Brakhage kollidiert die Avantgarde der neunziger Jahre mit dem New American Cinema der Sixties. Das Resultat vereint die Plaisanterien, die Nervosität und auch den Größenwahn der frühen Avantgarde mit der Skepsis der Erben aus der Generation Solomons. Visionen von Körpern, Gesichtern, Objekten setzen sich im Dauerbeschuß des Lichts und der Farben im Gehirn des Zuschauers für Sekundenbruchteile zusammen, um sofort wieder auseinanderzufallen und neue Spiele mit der Trägheit des Auges zu treiben.

Zum ästhetischen Programm des ultraproduktiven Stan Brakhage, das dieser 1963 in seinen „Metaphors on Vision“ publiziert hat, gehört seit den Tagen des berühmten Trance-Films „Anticipation of the Night“ (1958) das Subjektive, Improvisierte, die manuellen Eingriffe in den technischen Prozeß des Filmemachens und das Rohmaterial selbst. In „Mothlight“ (1963) klebte Brakhage Mottenflügel, Gras, Blätter und Halme direkt auf den Film, ehe er das Licht des Projektors durchschickte, und in „Anticipation“ ging ein schattenhaftes Alter ego auf eine nächtliche Reise, die im Bilderregen und im Suizid endete. Dieser subjektive Rest, der „Shadow Man“, ein letztes Fädchen vermittelnder narrativer Instanz, verschwand sehr bald aus den Arbeiten Brakhages und überließ das Feld Kamera und Schnitt allein.

Brakhage übertrug, immer radikaler und ungeduldiger, den Puls seines Körpers auf die Rhythmen der Filme, darin durchaus Jackson Pollock nah: In den Kratzern auf dem Zelluloid finden sich so Spuren der vagabundierenden Stimmungen des Protagonisten, im flackernden Rot des Materials die erotische Spannung der „Lovemaking“-Filme, im groben Korn vieler Bilder schließlich die „Closed- eye Vision“, von der er in seinen Texten spricht. Das Objekt, der Apparat, das Subjekt: Die Grenzen zwischen den sorgsam voneinander getrennten Kategorien des konventionell erzählenden Kinos verschmelzen. In den „Home movies“, in dem selbstbewußten Amateurismus des Stan Brakhage lag Politik, die Basis der gesamten amerikanischen Kino-Avantgarde.

Auch Phil Solomon, der Brakhage seit den frühen siebziger Jahren nicht mehr aus den Augen gelassen hat, kämpft mit der Maschine Kino, indem er Persönliches an sie verfüttert. Wo Brakhage in „Lovemaking“ und „Window Water Baby Moving“ allerdings die Kamera als Teilnehmer etabliert, zieht Solomon sich desillusioniert zurück. Brakhage nennt die Kamera eine Verlängerung seines Körpers: Bei Solomon ist die Illusion aufgegeben; hinter den Rissen, den Brüchen und den chemisch heraufbeschworenen Geschwüren seiner Bilder steckt die Erkenntnis, daß auch der Filmemacher selbst keinen Zutritt zu seinem Material mehr hat, daß ihm nichts mehr bleibt als Oberflächenkosmetik, Texturenbearbeitung. („Wie Frankenstein kreierst du etwas, das plötzlich ein Eigenleben lebt.“) Solomon zersetzt seine eigene Geschichte im Bad der Chemikalien, in den Bildern unter dem Netz der visuellen Verstümmelungen, in seinen elliptischen Stories von Tod, Vergangenheit, Erinnerung. Das Kino ist ein Ort der Zersetzung, kein Ort der Rebellion mehr gegen die Codes des industrialisierten Sehens, kein Ort des avantgardistischen Aufbruchs. Statt dessen: Aufzeichnungen vom Sterben („The Exquisite Hour“ oder „Remains to Be Seen“).

Brakhages Weg führt vom gegenständlichen Filmemachen und dem, was P. Adams „Sitney Mythopoeia“ genannt hat, der Kreation privater Mythen zur totalen Abstraktion: von den surreal geprägten Psychodramen der frühen fünfziger Jahre zur subjektiven First-person-Camera in „Anticipation“ zu „Dog Star Man“, der Antithese traditioneller Kino-Epen. Das Biologische ins Metaphysische gespielt: ein Mann gegen die Natur, gegen das übermächtige Universum, gegen sich selbst.

Das Prozeßhafte der Filme Stan Brakhages ist in der gemeinsamen Arbeit intakt geblieben: „Jamming“ nennt Solomon das Prasseln der Teile in „Elementary Phrases“, ein Trommelfeuer visualisierter Töne, die erst im Auge des Betrachters, und nur dort, Sinn machen. Vor allem in einem sind sie einander ähnlich: im Romantizismus, in der Suche nach einer Form vorsprachlicher, kindlicher Annäherung an die Dinge, einer Art Melodram ohne Sentimentalität. Nichts geht ihnen mehr auf die Nerven als das Wenderssche Kunstwollen; hingegen soll Brakhage neulich angesichts des letzten Stallone-Films „Cliffhanger“ freudig aufgebracht ausgerufen haben: „Phil! Siehst du? Das ist es, was ich will!“

Informationen über weitere Vorführungen beim Berliner Arsenal: 030/ 218 68 48