Expertise für die Quoten-Einwanderung

■ Gutachten zum sozialen Wandel

Kiel (taz) – Frauen und Ausländer sind nach einem Gutachten über die Auswirkungen des demographischen, sozialen und kulturellen Wandels in Schleswig-Holstein bis zum Jahre 2030 die RetterInnen vor einer drohenden Gefährdung des sozialen Friedens. Zu diesem Schluß kommt das 400 Seiten dicke Gutachten des Soziologieprofessors Stefan Hradil von der Universität Mainz, das die schleswig-holsteinische Landesregierung in Auftrag gegeben hatte und das Ministerpräsidentin Heide Simonis am Mittwoch in Kiel vorstellte.

Die Folgen von Überalterung und Bevölkerungsrückgang, vor denen Wissenschaftler immer mehr warnen, werden Schleswig- Holstein „früher und krasser“ treffen als andere Bundesländer. Und das liegt an den schlechten Rahmenbedingungen: Nach Angaben Hradils ist der Geburtenrückgang in Schleswig-Holstein bereits jetzt „heftiger als woanders“. Außerdem hat das Land die meisten älteren Menschen, bereits jetzt ist jeder fünfte Einwohner älter als 60 Jahre. Zudem verlassen zu viele junge gut ausgebildete Menschen das Land. Im Jahr 2005 müßten zwei Erwerbsfähige für einen älteren Menschen finanziell aufkommen. Derzeit sind es drei Erwerbsfähige.

Zwischen 2005 und 2010 werde ein Loch von Arbeitskräften sowohl hinsichtlich der Zahlen als auch der Qualifikationen entstehen, sagte Hradil gestern. Um dieser Entwicklung, die sozialen Sprengstoff berge, entgegenzuwirken, schlägt das Gutachten ungewöhnliche Wege vor. Schleswig- Holstein solle Vorreiter für eine gesteuerte Einwanderung von Ausländern werden. Diese müsse nicht unbedingt von Bonn gesteuert werden, so könne das Land beispielsweise selbst die Ausbildungssituation für Asylbewerber verbessern, meinte Hradil.

Um das Bevölkerungsloch zu stopfen, soll nach Ansicht des Soziologen auch die Frauenerwerbstätigkeit vebessert werden. Der Gutachter empfiehlt flankierende Maßnahmen wie mehr Kinderbetreuung.

Ob der finanziellen Löcher in der Kassen schlägt er vor, daß Politiker, Unternehmen und andere gesellschaftliche Kräfte mehr Fantasie entwickeln. Vorstellbar sind seiner Ansicht nach zum Beispiel Verbundsysteme zwischen staatlichen und privaten Stellen. Außerdem müßte Weiterbildung einen wesentlich höheren Stellenwert erhalten.

Als erstaunlich bezeichnete Hradil die Entwicklung, daß es für ein Flächenland sehr viele „unübliche Lebensformen“ gebe. Das Gutachten registrierte überdurchschnittlich viele Alleinerziehende und Ein-Personen-Haushalte. Die Zahlen zeigten, daß die Schleswig- Holsteiner „Vorreiter“ bei der Aufweichung traditioneller Milieus und Anhänger von untypischen Lebensformen seien. Kersten Kampe