■ Die juristische Verfolgung derer, die den Holocaust bestreiten, setzt mehr voraus als neue Gesetze
: Auschwitz und die Lüge

Wir kennen das „Auschwitz der Seelen“, das sich laut Jürgen Fuchs in der DDR zugetragen haben soll; wir kennen den „Embryonen-“ und den „atomaren Holocaust“, die „Hühner-KZs“ in der Gegend von Cloppenburg. „Nach Auschwitz“, so Günter Grass 1990, dürfe es die nationale Einheit nicht geben. Dichten und erziehen, das wissen wir schon lange, alles im Deutschland der Jahre 1945 folgende sei schwierig. Wir tun es dennoch.

Auschwitz als Metapher banalisiert, der Gebrauch des Entsetzlichen zum Zweck gesinnungsethischer Rechthaberei ebenso. Das müßten diejenigen wissen, die mit der Parole „USA, SA, SS!“ groß wurden. Es gibt Ereignisse, und der Mord an den europäischen Juden gehört dazu, die weder zur Veranschaulichung eines anderen Geschehens noch als Munition im politischen Streit gebraucht werden dürfen, noch als Fixpunkt verquaster Innerlichkeit.

Daneben und in zunächst erfreulichem Kontrast breitet sich in der Bundesrepublik seit gut zehn Jahren eine vielfältige Kultur des Erinnerns aus. Sie verdient Respekt. Doch führte sie auch zur metaphysischen Überhöhung, zur quasi theologischen Befrachtung des Verbrechens.

Aus diesem Blickwinkel entpuppt sich der Historikerstreit als Investiturakt für jene moralisierende, im Grunde ahistorische Betrachtungsweise, die den wohlmeinenden, aber unvermeidlich öden Zeigefingerdidaktikern Tür und Tor öffnete. Auschwitz, das Faktum, wurde zum Symbol und damit zur Glaubensfrage. Das mußte die Häretiker auf den Plan rufen, die Tabubrecher und Provokateure. Zudem fehlt der neuen säkularen Hilfsreligion schon deshalb das Attraktive, weil sie sich allein auf das Prinzip des Teufels gründet, die schöne Spannung von Hölle, Purgatorium und Himmel, von Verdammnis und Erlösung nicht halten kann.

„Schindlers Liste“ setzt hier an: Das hermetisch, „total“ erscheinende Böse, das jedes neuere Schulbuch, jeder Gedenkstättenrundgang vermittelt, bricht sich wenigstens im Kino an der Tatsache, daß ein einzelner Mann den individuellen Entscheidungs- und Handlungsspielraum tatsächlich nutzt, der prinzipiell jedem Deutschen offenstand.

Spielberg drehte an der Rampe in Birkenau. Vor nicht langer Zeit, im Januar 1993, hagelte es deshalb Protest: Der „Hollywood-Regisseur“ beabsichtige „die Ausnutzung von Auschwitz zu kommerziellen Zwecken“, richtetete ihm der Jüdische Weltkongreß in der New York Times aus. Wer eine Gaskammer nachbaue, Hunderte von Statisten auf dem Lagergelände einsetze, der betreibe „eine Schändung des Andenkens von Millionen ermordeter Juden“.

Der Erfolg des Films, notwendigerweise auch sein kommerzieller Erfolg, setzt die Kritik ins Unrecht. Er ist darüber hinaus als praktische Antwort auf die nicht immer erfolgreiche Tätigkeit deutscher Holocaustmuseologen und Vergangenheitsbeamten zu verstehen. Ihr branchenüblich getragener Tonfall, ihre hastige Produktivität – exemplarisch sichtbar am sinnlos- überschäumenden Output des Berliner Zentrums für Antisemitismusforschung – laufen ins Leere. Pädagogen, zumal Volkspädagogen, suchen die Schuld dann gern im angeblichen Unwillen ihrer Adressaten. Doch beweist der Film „Schindlers Liste“, daß das öffentliche Interesse, die Aufnahmebereitschaft, zumal der jüngeren Deutschen, ungebrochen blieben. Spielberg gelang es, Auschwitz als das zu zeigen, was es ist, nämlich Menschenwerk. Nichts daran ist außergeschichtlich.

Geschändet wird das Andenken an Millionen ermordete Menschen, wenn Franz Schönhuber – mit einer Rechtanwältin verheiratet – hinterhältig „fragt“: „Waren es sechs, vier, zwei Millionen oder gar ,nur‘ 300.000 tote Juden?“ Gleiches gilt für den NPD-Vorsitzenden Günter Deckert, der – bei wem hat er die Syntax wohl abgeguckt? – mit der Parole hervortrat: „Der Holo muß weg!“. Darüber hinaus wird in der Süddeutschen Zeitung berichtet: „In München, im Bezirksausschuß 3, gibt es ein Mitglied der Partei der Republikaner, der bei einer Sitzung des Gremiums ein T-Shirt mit der Aufschrift trägt: 'wg. Auschwitz Leute freßt Scheiße! Milliarden Fliegen können nicht irren.‘“

Solches Verhalten schreit nach gesellschaftlicher Ächtung, nach Strafe und Generalprävention. Deshalb wurde das spitzfindige Jonglieren jener Bundesrichter als skandalös empfunden, die das gegen den NPD-Mann Jürgen Deckert in Sachen „Auschwitz- Lüge“ ergangene Urteil zwar nicht in einen Freispruch verwandelten, aber aufhoben und zur neuen Verhandlung an die Münchner Gerichte zurückverwiesen. Der Ruf nach „Schließung einer Gesetzeslücke“ erscheint verständlich. Dennoch bleibt Nüchternheit geboten.

Lächerlich und verfassungswidrig, wollte man das Leugnen historischer Tatsachen prinzipiell unter Strafe stellen. Auch der mittlerweile zum Schimpfwort avancierte Begriff „Revisionismus“ kann der Justiz kaum als Anhaltspunkt dienen. Schließlich gehört es zum täglichen Geschäft des Historikers, populäre, liebgewonnene Vorstellungen zu revidieren, etwa die, der Mord an den europäischen Juden ginge allein auf das Konto Hitlers und der SS, oder diejenige, daß deutsche Soldaten und Offiziere an der Ostfront von all dem nichts gewußt hätten.

Zu Recht weist Eckhard Fuhr in in der Frankfurter Allgemeinen auf die hanebüchene Definition hin, die die jüngst erschienene „Encyklopädie des Holocaust“ (herausgegeben von Eberhard Jäckel, Peter Longerich und Julius H. Schoeps) zum Stichwort „Auschwitz-Lüge“ gibt. Es handle sich nicht allein um jenes Schlagwort, „unter dem der Mord an den europäischen Juden durch die Nationalsozialisten geleugnet wird, die Verluste unter den Juden als ungeheuer übertrieben dargestellt werden“. Darüber hinaus – so heißt es im selben Satz weiter – mache man sich der „Auschwitz- Lüge“ angeblich dann schuldig, wenn „der Judenmord als Ergebnis gezielter Politik bestritten sowie die tendenziöse und trivialisierende Behauptung aufgestellt wird, daß dieser Vorgang nicht einmalig gewesen sei, sondern Vorläufer gehabt habe, die sogar als Vorbild gedient hätten“.

Sollte diese Definition Gesetz werden, dann würden sich Ernst Nolte und Hans Mommsen künftig in der Gefängniszelle streiten müssen. Denn der eine plädiert seit Jahren für eine spezifische, höchst umstrittene vergleichende Einordnung des Holocausts in das Kontinuum der europäischen Geschichte dieses Jahrhunderts, und der andere bestreitet – ebenfalls seit Jahren –, daß „der Judenmord Ergebnis gezielter Politik“ gewesen sei. Mommsen spricht von der „kumulativen Radikalisierung“, vom „Selbstlauf“ antijüdischer Politik, die eben gerade nicht von Anfang an auf die Vernichtung zielte.

Der zitierte Versuch einer dogmatisierenden Gleichschaltung der Geschichtswissenschaft mittels „Enzyklopädie“ trägt unzweifelhaft die Handschrift des Mitherausgebers Jäckel.

Also des Historikers, der uns vor ein paar Jahren die Kujauschen „Hitler-Tagebücher“ als echt verkaufen wollte, der selbst Kujau-Fälschungen von „Hitler- Gedichten“ in der Reihe des Instituts für Zeitgeschichte „wissenschaftlich“ edierte. Es wäre immerhin sicherer, die Gesetzgeber und Richter würden sich nicht allzusehr auf derartige Wissenschaft stützen.

Darin läge ein weiterer Vorteil. Denn plädiert man für die Bestrafung derer, die eine „Auschwitz- Lüge“ behaupten, dann ist dazu nicht wissenschaftliche, sondern demokratische Übereinkunft erforderlich. Mit der Verwendung von Auschwitz als politisch-moralische Allzweckwaffe, wie sie vorzugsweise Vertreter des linken und linksliberalen Milieus pflegen, wird ein solcher Konsens erschwert.

Genauso von unserem durch späte Geburt begnadeten Bundeskanzler, der den möglichen – von dem Historiker Reinhard Koselleck mit bewunderswerter Kraft verfochtenen – Kompromiß zur „Neuen Wache“ ausschlug, der sich unfähig zeigt, öffentlich die schlichte Wahrheit zu erklären, daß die Alliierte Landung in der Normandie zwar 1944 von den Deutschen als Schmach, als Schritt zum „Zusammenbruch“ ihres monströsen Reiches empfunden wurde, aber ihnen heute Anlaß zu Dank und Freude ist.

Was der sächsische Ministerpräsident Kurt Biedenkopf richtig „die Last der späten Geburt“ nannte, ist ja nicht allein die Aufgabe, Verbrechen zu verantworten, die man selbst nicht begangen hat, aber gleichwohl in den Traditionen und Institutionen des eigenen Landes mitschleppt. Aus dieser Verantwortung folgt, daß wir einen demokratischen Konsens entwickeln müssen, der das Faktum Auschwitz gewissermaßen konstitutionell einschließt. Sofern uns das gelänge, und aussichtslos ist es nicht, könnten wir dann auch diejenigen strafrechtlich ausgrenzen, die den Mord an den europäischen Juden leugnen. Götz Aly