Wegbereiter des Holocaust

■ Vor 45 Jahren wurde Veit Harlan, Regisseur des NS-Hetzfilms „Jud Süss“, von einem Hamburger Gericht freigesprochen

Berlin, den 30. September 1940: „Ich ersuche Vorsorge zu treffen, daß die gesamte SS und Polizei im Laufe des Winters den Film „Jud Süss“ zu sehen bekommt.“

Der Reichsführer SS, Heinrich Himmler.

Am 3. März 1949 eröffnete das Hamburger Landgericht den Prozeß gegen Veit Harlan. Die Symbolfigur des Unterhaltungskinos im Dritten Reich mußte sich wegen Verbrechen wider die Menschlichkeit verantworten. Er wurde beschuldigt, durch seinen antisemitischen Hetzfilm Jud Süss als psychologischer Wegbereiter des Holocaust gewirkt zu haben. Der Film bot alles, was die Nazi-Propaganda brauchte: packende Handlung, eine melodramatische Liebesgeschichte und antisemitische Feindbilder - ein unheilvolles Gemisch aus Gewalt und Faszination. In der Titelrolle: Ferdinand Marian als Typus des finsteren, verschlagenen Juden. Ihm gegenüber Kristina Söderbaum, Harlans Ehefrau, die blond und blauäugig perfekt das Bild der arischen Frau verkörperte.

Politisch unbelastet?

Bei seiner Filmpremiere im Berliner Ufa-Palast hatte Jud Süss einen Riesenerfolg. Bis zum militärischen Ende des NS-Regimes sahen über 20 Millionen Zuschauer den Film, also mindestens ein Drittel der Reichsbevölkerung. Und Harlan arbeitete weiter. Bis 1945 verfilmte er eine Reihe von weiteren Melodramen und Propagandastreifen: Das unsterbliche Herz, Die goldene Stadt und das Durchhalteepos Kolberg - Aufputschfilme, die auf Rührung und Verführung abzielten. „Meine Partei ist die Kunst“, hat Harlan beteuert, „meine Politik heißt Vaterlandsliebe.“ Tatsächlich aber dienten seine Filme rein den politischen Zwecken der deutschen Faschisten.

Nach Kriegsende setzte sich Harlan in Richtung Hamburg ab. Er wollte so schnell wie möglich zurück ins Filmgeschäft. Als Vertreter des Schaugewerbes im Dritten Reich braucht er dafür eine „Unbedenklichkeitserklärung“. Und Harlan wurde nach dem alliierten Kontrollratsgesetz in die Gruppe 5 eingestuft: „Politisch unbelastet“. Der Öffentlichkeit blieb dieser Skandal allerdings nicht verborgen. Es kam zum Hamburger Schwurgerichtsprozeß. Das Publikum war Pro-Harlan, antisemitische Ausschreitungen gehörten zum äußeren Ambiente. Jüdische Zeugen wurden beschimpft und konnten nur unter Polizeischutz den Saal verlassen.

Ralph Giordano, damals Berichterstatter für die Jüdische Allgemeine beschrieb die Atmosphäre während der Verhandlung: „Was offensichtlich war an dem Verhalten des Publikums, war die totale innere Beziehungslosigkeit zur Welt der Nazi-Opfer. Die Opfer, die sich schließlich auch durch diese Filme ergeben hatten, spielten in der ganzen Verhandlung überhaupt keine Rolle. Der Konnex zwischen Jud Süss und dem Holocaust ist überhaupt nicht gezogen worden.“

Harlan selbst behauptete, er habe den Film nicht drehen wollen und sei von Goebbels zwangsverpflichtet worden. Doch Harlan mußte zugeben, in polnischen Ghettos jüdische Komparsen ausgesucht zu haben - in Zusammenarbeit mit dem Reichssicherheitshauptamt.

Wie auch andere Künstler fand sich Harlan nicht erst unter Repressionen des Propagandaministeriums zur Kooperation bereit. Unterhaltungskunst mit antisemitischer Tendenz herzustellen, das war für ihn eine handwerkliche Herausforderung. Daß er sich damit in nationalsozialistische Verbrechen verstrickte, hat Harlan offensichtlich nie richtig begriffen. Vor Gericht betonte er, nur untergeordnet tätig gewesen zu sein. Er leugnete nicht, an Jud Süss mitgewirkt zu haben. Er hielt sich jedoch im Sinne der Anklage, die ihm die Gesamtverantwortung unterstellte, für nicht schuldig.

Alle Prozeßbeteiligten sahen sich hier mit einem neuen Täterkreis konfrontiert: den Künstlern und Intellektuellen der Nazi-Diktatur. Harlan war keineswegs der dämonische Verbrecher, für den ihn Teile der Öffentlichkeit hielten. Und er war nie Mitglied der NSDAP gewesen. Aber war er deshalb unschuldig? Nach dem damaligen Kontrollratsgesetz hätte man Veit Harlan verurteilen müssen.

Ein Richter mit NS-Vergangenheit

Nach 52 Tagen und zahllosen Zeugenvernehmungen wurde am 23. April 1949 das Urteil gesprochen. Es war ein Medienereignis, der Freispruch für Harlan symptomatisch für die deutsche Nachkriegsjustiz. Ebenso wie die Tatsache, daß Harlan der einzige Künstler des Dritten Reiches blieb, der sich für seine Vergangenheit juristisch zu verantworten hatte.

Der Freispruch für ihn wurde ein Jahr später im Revisionsprozeß sogar mit dem Zusatz bestätigt, Harlan habe die Arbeit an Jud Süss aus einem Befehlsnotstand heraus begonnen. Doch die Dimension dieses Skandalurteils wurde erst Ende der 50er Jahre richtig offensichtlich. Damals wurde bekannt, daß Walter Tyrolf, der Vorsitzende Richter in beiden Harlan-Prozessen, während der NS-Zeit Staatsanwalt am Sondergericht Hamburg war und in mindestens zwei Bagatellfällen für die Todesstrafe plädiert hatte. Das gegen Tyrolf eingeleitete Ermittlungsverfahren wurde bald wieder eingestellt - auch das war exemplarisch für die Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit in der Bundesrepublik.

Michael Marek