Militariahändler stehlen in KZ-Stollen

Diebstähle in dem ehemaligen KZ Mittelbau-Dora / V 2-Raketenteile bei Aktionen aufgetaucht  ■ Von Anita Kugler

Nordhausen/Enschede (taz) – Im Frühsommer vorigen Jahres erhielt der Protokollführer der „Arbeitsgruppe V-Waffen-Niederlande“, Adrie Rohding, brisante Post. Ein Militaria-Händler aus Hamburg, berichtete er der taz, habe ihm unter Chiffre für 15.000 Mrk technische Unterlagen zu Hitlers „Wunderwaffe“ V 2 angeboten. Wenig später wiederholte der anonyme Händler sein Angebot telefonisch. Die Unterlagen seien, weil „naß geworden“, im schlechten Zustand, unvollständig, und gekauft habe er sie von einem Privatmann aus Ostdeutschland.

Nach diesem Gespräch klingelten bei dem Historiker Rohding – im Hauptberuf Stadtarchivar in niederländischen Enschede – alle Alarmglocken. Denn die Unterlagen, so der Raketenexperte, konnten nur aus einer einzigen Gegend in Deutschland stammen, nämlich von dort, wo die V 2, nach der Bombardierung der Heeresluftanstalt in Peenemünde serienmäig produziert worden war: Aus dem riesigen und heute zum Teil unter Wasser stehenden Stollensystem des Berg Kohnstein im Thüringen, nahe der Stadt Nordhausen. Er vermutete Diebstahl im großen Stil. Denn wenige Monate zuvor hatte schon einmal ein „Sammler“ aus Köln ganze V 2-Teile angeboten, darunter einen kompletten Motor, Turbopumpe sowie Flossenteile für die Steuerung. Ein Londoner Auktionshaus bot ebenfalls V 2-Reste per Katalog an.

„Das ist Grabräuberei“, sagte er und benachrichtigte die Menschen, die das größte Interesse am unbeschädigten Erhalt des Stollensystems haben: Das europäische Komitee der ehemaligen Zwangsarbeiter des Konzentrationslagers Mittelbau-Dora, einer Außenstelle des KZ-Buchenwalds. Denn Häftlinge waren es, die ab Herbst 1943 unter ganz entsetzlichen Bedingungen die Stollen unter dem Berg zu einer unterirdischen Raketenfabrik hatten hineintreiben und umbauen müssen. Und Häftlinge, sowie russische Kriegsgefangene waren es, die von Januar 1944 bis März 1945, insgesamt 6.000 „Wunderwaffen“ für den „Endsieg“ produzieren mußten. Und dies mit der eindeutigen Absicht der SS, die Zeugen dieses heute wieder mytholgisierten Waffensystems nach getaner Arbeit zu „vernichten“. Von etwa 60.000 Sklavenarbeitern, die in „Dora“ oder in einem der 30 Bergwerksnebenlagern registriert waren, überlebten ein Drittel die Befreiung nicht. Sowohl die Amerikaner als auch die Sowjets transportierten die liegengelassenen V2-Raketen in ihre Raketenversuchsanstalten. Später sprengten sie die Stollenkammern und begruben das für sie Unverwertbare: Werkzeugmaschinen, V2-Reste und die Zeugnisse des Häftlingsleides, wie Schuhe, Zebralumpen und Essgeschirr.

Dort liegt es heute noch, irgendwo in den jeweils zwei 1,8 Kilometer langen, nebeneinanderliegenden Stollen oder in den 48 Querstollen, die die Tunnel miteinander verbindet. Dieses sogenannte „Hohlraumsystem“ steht seit 1992 unter Denkmalschutz, heraustransportiertes Material ist Diebstahl am Staatseigentum. Das Bundesvermögensamt hat nach den Alarmmeldungen, im Oktober vorigen Jahres deshalb Anzeige gegen Unbekannt gestellt, aber bisher laufen die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Erfurt und der Kripo Nordhausen ins Leere. Ein Polizeisprecher wiegelt ab: Diebstähle seien „heute nicht mehr möglich“. Dies behauptet auch das für „Mittelbau-Dora“ zuständige thüringische Ministerium für Wissenschaft und Kunst. Das wird von Experten bestritten. Natürlich sei es für Ortskenner „heute noch möglich, über oberirdische Lüftungsschächte in das Stollensystem einzusteigen“, sagt der Landrat von Nordhausen, Claus. Nach jedem Bericht über die „Wunderwaffe“ steige die Zahl der Einbrüche. Und er weißt auf die eigentliche Ursache des Problems hin: auf die ungeklärten Frage, wem die Hohlräume gehören.

Unbestritten ist, daß die Abbaurechte und das Gestein über den Stollen 1992, von der Treuhand an das Münchner Unternehmen FBM Baustoffwerk Wildgruber Gmb H & Co Anhydritwerke KG verkauft wurde. Der läßt seidem im Tagebau das Anhydrit rausbaggern. Wildgruber hat sogar bei der Treuhand den Passus unterschrieben, „Das Tunnelsystem ist nicht Gegenstand des Vertrages“. Aber von dieser Vereinbarung will er nichts mehr wissen und argumentiert dabei mit dem bundesdeutschen Bergrecht, wonach es keine Unterscheidung zwischen Berg und den sich darin befindenen Höhlen gibt. Der Landrecht und auch die Bergsicherung Irfelden hingegen bestehen darauf, daß wie im Eingungsvertrag vereinbart, die „DDR-Hohlraumgesetzgebung“ noch bis 1995 gilt. Danach sind Berg und Tunnel zwei verschiedene Dinge: „Der Hohlraum gehört dem Land“, sagt er und hat deshalb eine Feststellungsklage erhoben. Erst wenn diese Eigentumsfrage geklärt ist, können die Voraussetzungen dafür geschaffen werden, daß in Zukunft nichts mehr gestohlen wird. Dann erst könnten Forscher es vermessen, fotografieren, die Reste inventarsieren und festzustellen, wo sich Einstiegslöcher befinden.

Der Unterwasserarchäologe beim Landesamt für Ur-und Frühgeschichte in Schleswig, Willi Kramer, hat im vergangenen Jahr per Amtshilfe eine mit Stahlseilen versehene Einstiegsluke gefilmt. Weitere Dreharbeiten verbot Wildgruber aus „Sicherheitsgründen“.