Mehr Lehm am Bau

Die Ressourcen der Erde sind begrenzt / Würden sie besser genutzt, entständen neue Jobs  ■ Von Hermann-Josef Tenhagen

Auf lange Sicht gibt es die Wahl zwischen Umwelt und Arbeitsplätzen nicht. Entweder beides oder gar nichts. Welche Arbeitsplätze sollten in einer Welt erschöpfter Rohstoffe, vergifteten Wassers und stickiger Luft entstehen, in einer Welt, in der die Menschen unter dem Ozonloch und angesichts des Treibhauseffekts ums Überleben kämpfen.

(United Steelworkers

of America, 1990)

Doch wie sehen die umweltverträglichen Arbeitsplätze aus, von denen die amerikanische Gewerkschaft spricht? Klar ist: Wir prassen mit den Ressourcen, als ob wir allein wären auf diesem Planeten. Bei unserem Verbrauch an Energie, Rohstoffen, an Fleisch und Wasser könnte die Erde nicht einmal fünf Milliarden Menschen ernähren, geschweige denn in Zukunft sieben oder zehn.

In der alten Bundesrepublik wurden 1989 mehr als eine Milliarde Tonnen Rohstoffe in Emissionen, Abfälle, Exporte, Produkte und Bauten verwandelt. Abraum, Bodenaushub und Wasserverbrauch sind dabei noch nicht mitgerechnet. Und wollten die Chinesen ähnlich viele Autos fahren wie die Deutschen, würden zusätzlich 500 Millionen stinkende Blechkisten die Luft verpesten, das Klima erwärmen und die endliche Ressource Erdöl verbrauchen.

Wer den Kopf nicht in den Sand steckt, weiß, daß dies anders werden muß. Aber wie? Den schillernden Begriff des sustainable development, der nachhaltigen Entwicklung, trauen sich Politiker, Wirtschaftbosse und Gewerkschafter nicht konkret zu füllen. Von der luftigen Definition der norwegischen Ministerpräsidentin Gro Harlem Brundtland, daß jene, denen es gutgeht, künftig „einen Lebensstil annehmen, der den ökologischen Gegebenheiten des Planeten angemessen ist“, bis zu konkreten Grenzen für den individuellen Natur- und Ressourcenverbrauch ist es vor allem politisch ein weiter Weg.

Technischer Strukturwandel allein jedenfalls reicht nicht aus. Den hat Japan in den vergangenen Jahren forciert, doch seit 1986 steigt auch dort der Ressourcenverbrauch wieder an. Die physischen Grenzen unseres Wirtschaftsraums müssen systematisch beachtet, der Energie- und Ressourcenverbrauch reduziert werden.

Sustainable development könnte dabei auf den Einsatz von mehr Arbeit und weniger Kapital setzen. Die Produktivität eingesetzten Kapitals hat sich nach Berechnungen des Worldwatch-Instituts in der US-Industrie in den vergangenen Jahrzehnten ohnehin nur unwesentlich erhöht, die Produktivität der Arbeit hingegen vervielfacht. Auch in der alten Bundesrepublik stagnierte die Produktivität des eingesetzten Kapitals nach Berechnungen des RWI von 1975 bis 1988.

Technisch wäre ein ökologischer Umbau machbar, nur muß er politisch gewollt sein. Der Politologe Martin Jänicke rechnet vor, daß der Verbrauch nicht erneuerbarer Rohstoffe auf unter ein Zehntel der heutigen Menge sinkt, wenn nur

– die Produkte ein Drittel länger hielten;

– ein Drittel kleiner wären;

– ein Drittel mehr recycelt,

– um ein Drittel intensiver genutzt, wieder- und weiterverwendet würden;

– das Material bei ihrer Produktion und ihrem Gebrauch ein Drittel besser genutzt würde,

– ein Drittel mehr erneuerbare Rohstoffe verwandt würden.

Der niederländische Umweltverband Milieudefensie hat 1992 erstmals versucht, das Konzept des sustainable development auf die Niederungen des industriellen Alltags herunterzurechnen. Die Ökologen bestimmten den Umweltraum, den jede Niederländerin und jeder Niederländer künftig beanspruchen dürfte, sollte der Naturverbrauch im Land weltweit übertragbar sein und der Menschheit eine Chance zum Überleben lassen. Sie rechneten aus, daß die individuellen Kohlendioxidemissionen bis 2010 auf ein Drittel gesenkt werden müßten, der Wasserverbrauch um 40 Prozent zurückgegen müßte, der Papier- und Holzverbrauch um 70 Prozent und der Konsum von Aluminium sogar auf ein Fünftel schrumpfen müßte. Drastisch schreiben die Autoren: „Im Jahr 2010 wird der Holländer wählen können, ob er täglich 25 Kilometer mit dem Auto, 50 Kilometer mit dem Bus, 65 Kilometer mit dem Zug fahren oder 10 Kilometer fliegen will. Ein Flug nach Rio wird vermutlich nur noch alle 25 Jahre möglich sein.“

Was diese Vorgaben für die Wirtschaft und den Arbeitsmarkt bedeuteten, kümmerte die Vordenker zunächst nicht. Es ging darum, die physischen Grenzen unseres Wirtschaftens konkret erfaßbar abzustecken. Erst im zweiten Schritt legte Milieudefensie im Dezember 1993 einen Bericht „Investeren in Duurzame Ontwikkeling“ (Investieren in eine nachhaltige Entwicklung) vor. Gezielt griffen sie sich die Bauwirtschaft heraus, um in der Branche die Arbeitsmarktauswirkungen solcher Vorgaben zu überprüfen.

Und siehe da, eine neue Architektur, die auf natürliche und dauerhafte Baustoffe wie Lehm setzt, schafft massiv neue Arbeitsplätze. Um ein konventionelles Haus zu bauen, sind heute in den Niederlanden im Schnitt 814 Arbeitsstunden notwendig. Ein ökologisch vorbildliches Wohnhaus, wie es unter dem Gesichtspunkt der Nachhaltigkeit notwendig wäre, verbraucht dagegen 1.484 Arbeitsstunden, so Co-Autorin Marie Buitenkamp. Bis zum Jahr 2010 könnten bei einer vollständigen Umstellung im Wohnungsbau deshalb 30.000 neue Arbeitsplätze geschaffen werden. Niedrigere Energie- und Erhaltungskosten könnten den höheren Bauspreis teilweise kompensieren. Für deutsche Fachleute kam das Ergebnis nicht völlig überraschend, auch bundesdeutsche Studien haben ergeben, daß das Bauhauptgewerbe neben dem Maschinenbau und der Elektrotechnik am meisten von einer verschärften Umweltpolitik profitieren würde.

In der Bundesrepublik ist dieser erste Schritt noch nicht gemacht. Am „Wuppertal-Institut für Klima, Umwelt, Energie“ haben Wissenschaftler gerade erst begonnen, einen Wirtschaftsrahmen für eine nachhaltige deutsche Ökonomie zu entwerfen – im Auftrag des Bundes für Umwelt und Naturschutz (BUND) und der katholischen Hilfsorganisation Misereor. Erste Gespräche mit Gewerkschaftern, Industrievertretern und Arbeitswissenschaftlern fanden statt. Doch die Arbeitsplatzdebatte folgt, wie in den Niederlanden, frühestens im zweiten Schritt.

Das heißt nicht, daß es in Deutschland überhaupt keine Erkenntnisse gäbe, die Schlüsse auf den Arbeitsmarkt einer nachhaltigeren bundesdeutschen Ökonomie zuließen. Im Energie- und Verkehrssektor haben sich Wissenschaftler und Verbände mehr als zehn Jahr lang bemüht, sogenannte Wendeszenarien auch auf Arbeitsplatzauswirkungen hin zu überprüfen. Verkehr und Energie, sagt Dietmar Edler von Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung, seien „die beiden Bereiche, wo die gravierendsten Anpassungen vorgenommen werden müssen.“ So zeigen die meisten Studien der vergangenen Jahre, daß eine dezentrale Energiewirtschaft mit massiver Nutzung von Wind, Sonne und Biomasse (aber ohne Atomkraft) positive Auswirkungen auf dem Arbeitsmarkt hätte. Regenerative Energien brauchen pro produzierter Energiemenge deutlich mehr Arbeit. Und auch Energiesparinvestitionen sind arbeitsintensiver als der Bau neuer Kraftwerke. Die Baseler Prognos rechnete schon 1987 vor, daß der Verzicht auf die Atomkraft langfristig rund 100.000 zusätzliche Arbeitsplätze schaffe. Nachhaltige Jobs entstehen nicht aus dem Einbau von mehr Filtern, sondern aus einer ganz anderen Struktur.

Ähnliche Erkenntnisse gibt es aus den USA: Öffentliche Energiesparinvestitionen bringen bei gleichen Kapitaleinsatz dreimal so viele Jobs wie der Bau von Autobahnen. Michael Renner vom Worldwatch-Institut rechnet vor: Die Produktion von 1.000 Gigawattstunden Strom pro Jahr braucht in einem Atomkraftwerk 100 Arbeitskräfte, aber 250 Arbeitskräfte in einem Solarkraftwerk und sogar über 500 auf einer Windfarm.

Die zweite Schlüsselbranche ist der Verkehr. Das Horrorszenario ist bekannt: Wenn Ökologen den automobilen Individualverkehr möglichst weitgehend durch Fahrrad, Fußwege und öffentlichen Verkehr ersetzen wollten, bräche einer der Pfeiler der deutschen Volkswirtschaft, die Autoindustrie, zusammen. Aber wie gravierend wären die Auswirkungen wirklich? Ökologische Verkehrspolitik würde sicher nicht so schnell so viele Jobs kosten, wie die Fehlentscheidungen der Automanager in den vergangenen Jahren. Zudem sagte die Baseler Prognos in ihrer Studie Arbeitslandschaft 2010 der bundesdeutschen Autoindustrie voraus, daß von der einen Million Arbeitsplätze im Fahrzeugbau auch ohne ökologischen Umbau nur 650.000 übrigbleiben würden.

Machbar wäre der Umbau selbst hier. Nicht durch mehr Katalysatoren und bessere Abgastechnik. Arbeitsplätze entstehen bei den Bahnen und im öffentlichen Nahverkehr, wenn eine Verkehrsverlagerung stattfindet. Genauso müßte sich die Arbeitsmarktsituation im Schienenfahrzeugbau verglichen mit einer Business-as-usual-Politik verbessern. Im Dienstleistungsbereich der Logistik würden die Anforderungen deutlich steigen. Geld, das nicht fürs Auto ausgegeben wird, kann für langlebige Möbel verausgabt werden, und sorgt dort für Nachfrage. Und bei der Infrastruktur: Werden statt Autobahnen Straßenbahnschienen verlegt, bringt jede eingesetzte Milliarde Mark statt 12.000 glatt 19.000 Arbeitsplätze, hat die Deutsche Straßenliga errechnen lassen. Der Bau von Fahrradwegen schafft pro eingesetzter Milliarde Mark sogar noch mehr Jobs.

Schon heute zeigt sich auf dem Arbeitsmarkt ein Boom in der Umweltschutzindustrie. Schon bei einer Fortsetzung der bisherigen schlappen Umweltpolitik hat das DIW bis zum Jahr 2000 einen Zuwachs der Arbeitsplätze vor allem im nachsorgenden Umweltschutz auf 1,1 Millionen Jobs ausgemacht, davon 800.000 im Westen und 230.000 im Osten.

Verlierer würde es natürlich auch geben. Sie wehren sich heftig. Selbstverständlich gehörte eine Autoindustrie dazu, die weiter vierrädrige Ressourcenfresser konstruiert, aber auch Altindustrien wie Kohlebergbau, Stahl und Metallverhüttung, die Papier- und Zellstoffindustrie und vor allem die Chemie. Unternehmerverbände wissen um dieses Problem, der Bundesverband der deutschen Industrie (BDI) führt große Teile dieser Branchen schon heute als „umweltintensive Industrien“. 1,9 Millionen Arbeitsplätze stellten sie in Deutschland 1992 bereit.

Zwanzig Jahre nach den ersten Warnrufen des Club of Rome kann es nicht mehr um Nullwachstum gehen, es geht um das Überleben. Bodenverbrauch und Wasserverbrauch müssen stabil bleiben, wenn dabei Jobs entstehen und das Bruttoinlandsprodukt steigt – fein. Doch Energie- und Materialverbrauch in der Industrie müssen darüber hinaus drastisch zurückgeführt werden. Das bedeutet Fernseher, Telefone und Bohrmaschinen, die langlebiger, reparaturfreundlicher, kleiner, stromsparender, recycelbar und aus Bioplastik hergestellt sind. Wenn dabei Arbeitsplätze entstehen und das Bruttoinlandsprodukt steigt – auch fein. Das einzige aber, was künftig hemmungslos wachsen darf, ist der Einsatz an Hirnschmalz.