Wenig Glück und viel Desaster

■ Zwei Bücher zur Zusammenarbeit in Frauenprojekten

„Gemeinsam sind wir gemeiner“ lautete Anfang der Neunziger das Motto einer Tagung Berliner Studentinnen. In ähnlich selbstkritischer Absicht sind zwei Bücher erschienen, deren Thema die Realität der Zusammenarbeit von Frauen jenseits schönfärberischer Mythenbildung ist. In „Der Widerspenstigen Lähmung“ kommen vorwiegend Praktikerinnen aus Frauenprojekten zu Wort. So skizziert Ursula Nienhaus die Bedeutung des Autonomieprinzips. Doch vor allem die Abhängigkeit von staatlichen Leistungen etwa in Form von AB-Maßnahmen lähme die Zusammenarbeit und untergrabe das – durchaus vorhandene – revolutionäre Potential von Frauenprojekten.

Weitaus desillusionierter liest sich, was Dörte Jung schreibt. Für sie sind die Schwierigkeiten, die in Frauenzusammenhängen auftauchen, nicht zuletzt auch Resultat dessen, was sie die „Sprachlosigkeit der Frauen ihrer eigenen Praxis gegenüber“ nennt: Während Frauen inzwischen über vieles reden könnten, fehle noch immer ein öffentlicher Diskurs, der den Austausch über Erfahrungen im Umgang miteinander, über Enttäuschungen wie Wünsche aneinander möglich mache. Ohne die bewußte Anstrengung, eine solche Form des öffentlichen Sprechens zu entwickeln, ist die Gefahr jedoch groß, daß sich Konflikte unter Frauen ins Destruktive wenden; denn die angebliche soziale Kompetenz von Frauen, so Jung, ist ebenso wie der vielgepriesene andere Führungsstil ein Mythos.

Ganz ähnlich argumentiert auch Marie Sichtermann. Ihr zufolge herrscht statt einer produktiven Form von Kommunikation eine „Rhetorik des Leidens“ vor, deren gedanklicher Hintergrund den Konventionen des therapeutischen Diskurses entstammt. Was innerhalb eines therapeutischen Prozesses Sinn und begrenzte Bedeutung hat, so Sichtermann, ist jedoch völlig ungeeignet, wenn es darum geht, daß frau neue Wege der Öffentlichkeitsarbeit findet, einen Schrank kauft oder Verhandlungen führt.

Auch in „Glück, Alltag und Desaster“ erscheinen Frauenprojekte überwiegend in einem wenig günstigen Licht: Da ist von fehlender gegenseitiger Anerkennung die Rede, von Machtkämpfen und verdeckten Hierarchien, von der Unfähigkeit zur Abgrenzung und konstruktiven Kritik, von unerbittlichen Auseinandersetzungen und von zu wenig Lob und Leidenschaft. Kein Zweifel: Die Zeiten des euphorischen Aufbruchs und der rauschenden Feste sind vorbei. Statt dessen grassiert die Angst um den Projektarbeitsplatz. Denn in den meisten Projekten fehlen Verträge und verbindliche Vereinbarungen über Entscheidungsfindungen bei Kündigungen, über Fristen und Abfindungen sowie den Umgang mit Besitzanteilen am Projektvermögen. So entsteht das Paradox, daß „die Frauenbewegung, die traditionell gegen ungeschützte Arbeitsverhältnisse für Frauen zu Felde zieht, in ihrer Mitte die am wenigsten geschützten Arbeitsverhältnisse geschaffen (hat)“, wie Gabriele Freytag feststellt. Dies ist sicher ein nicht zu unterschätzender Grund, weshalb die Auseinandersetzungen in Frauenprojekten oft für alle Beteiligten so bedrohlich sind. Da hilft zum Trost nur ein Blick auf Frauen in gemischtgeschlechtlichen Arbeitszusammenhängen, wo – etwa im Journalismus oder im universitären Bereich – die Lage noch desolater ist.

Plausibel wird diese mangelnde Fähigkeit und Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit anderen Frauen, wenn man sich Birgit Lindbergs und Claudia Kopperts Überlegungen zu eigen macht: Sie erklären solch weibliches Einzelkämpfertum mit der Identitätsproblematik von Frauen in der Moderne, in der jede Frau ohne die Sicherheit traditioneller Rollen und Bindungen ihre individuelle Biographie entwerfen und verantworten muß. So nimmt es dann auch nicht wunder, daß Beispiele gelungener Kooperation vor allem aus kulturellen Zusammenhängen stammen, in die die moderne westliche Zivilisation noch nicht weit genug vorgedrungen war oder ist. Schade nur, daß positive Erfahrungen wie etwa von Frauen in Nigeria kaum auf die jetzige Situation von Frauen in westlichen Industrienationen zu übertragen sind.

Bei all den originellen, klugen und vielschichtigen Analysen, die „Glück, Alltag und Desaster“ zu bieten hat, fallen die vorgeschlagenen Lösungsstrategien generell etwas dürftig aus. Sie bewegen sich, wenn überhaupt vorhanden, im Konventionellen und zeichnen sich durch Phantasielosigkeit und einen Mangel an Witz aus: Da wird einmal eine feministische Supervisions- und Organisationsberatung beschrieben und zweimal mit deutlichem Bezug zum affidamento- Ansatz der Mailänderinnen für den produktiven Umgang mit Ungleichheiten und Hierarchien plädiert.

Das anarchistisch-spielerische Element, das für die Anfangszeiten der Frauenbewegung noch kennzeichnend war, scheint bei all den internen Rangeleien und den Kämpfen um staatliche Zuwendungen offenbar auf der Strecke geblieben. Nur in Marie Sichtermanns scharfsinnigem Essay blitzt noch etwas davon auf: Sie plädiert für das Streitgespräch als Kommunikationsmethode zwischen Frauen, das jeden Gedanken – und seine Äußerung – erlaubt. Um ein solches Streitgespräch zu ermöglichen, empfiehlt sie die Etablierung einer advocata diaboli, einer „Teufelsanwältin“, die bewußt provoziert und den niedrigen, verpönten, weil patriarchalischen oder politisch nicht korrekten Beweggründen ihre Stimme leiht. Eine solche unzensierte Kommunikation könnte Klärungsprozesse einleiten und Umgangsformen außer Kraft setzen, deren Auftreten die Zusammenarbeit von Frauen immer wieder lähmt und unergiebig macht. Dagmar Schediwy

Claudia Koppert (Hg.): „Glück, Alltag und Desaster. Über die Zusammenarbeit von Frauen“. Orlanda Frauenverlag, Berlin 1993, 259 Seiten, 32 DM

Renate Rieger (Hg.): „Der Widerspenstigen Lähmung. Frauenprojekte zwischen Autonomie und Anpassung“. Campus 1993, 152 Seiten, 29,80 DM