Die Magdeburger Menschenjagd war geplant

■ Staatsanwaltschaft widerspricht der Polizei

Magdeburg (taz) – Der Auftakt der ausländerfeindlichen Ausschreitungen am Himmelfahrtstag in der Magdeburger City, der Überfall rechtsradikaler Skinheads auf die von Türken betriebene „Marietta-Bar“, war vorgeplant. Das erklärte gestern Sachsen-Anhalts Generalstaatsanwalt Jürgen Hoßfeld. Kein Wort mehr davon, daß für die Eskalation der Ausschreitungen mehr das spontane Zusammenwirken von Alkohol und Sonne als die Fremdenfeindlichkeit verantwortlich waren, wie Magdeburgs Polizeipräsident Antonius Stockmann es gern hinstellt. Dennoch sieht Sachsen-Anhalts omnipotenter Innen- und Justizminister Walter Remmers (CDU) nach wie vor „keinen Anlaß, Herrn Stockmann zu entlassen“.

Unterdessen gerät Remmers selbst unter Druck. Nach seinem Auftritt in einer Sondersitzung des Innenausschusses im Landtag zu den Krawallen forderte die SPD in Sachsen-Anhalt und Bonn gestern, daß Remmers seinen Hut nimmt.

Insgesamt ist gegen 26 beteiligte Skinheads und Hooligans ein Ermittlungsverfahren eingeleitet worden, sagte Generalstaatsanwalt Hoßfeld. Fünf von ihnen sitzen in Untersuchungshaft, ein weiterer ist untergetaucht und wird mit Haftbefehl gesucht. Hoßfeld geht davon aus, daß die Staatsanwaltschaft noch in diesem Monat die ersten Anklagen erhebt.

Hoßfeld bestätigte, daß seine Behörde derzeit prüft, ob möglicherweise auch Ermittlungen gegen einzelne Ausländer eingeleitet werden müssen. Auch die von zahlreichen Augenzeugen erhobenen Vorwürfe gegen Polizisten werden geprüft, sicherte er zu. Bislang gebe es aber weder gegen Polizisten noch gegen ausländische Bürger konkrete Ermittlungsverfahren.

Sachsen-Anhalts Innenminister Remmers hielt gestern an seiner Verteidigungslinie für Magdeburgs Polizeipräsident Antonius Stockmann fest. Der einzige Fehler der Polizei, den er erkennen könne, sei die zu späte Unterrichtung der Staatsanwaltschaft, sagte Remmers vor dem Innenausschuß. Auf den Einsatz eines Video- und Dokumentationstrupps sei bewußt verzichtet worden, weil die Polizei durch derartige Aufnahmen nicht noch weitere Ausschreitungen provozieren wollte, sagte Remmers. Statt dessen beschlagnahmten die Behörden nach den Ausschreitungen lieber Fernsehaufnahmen.

Unterdessen bestätigte die Stadt Magdeburg den schlechten Ruf, den sie auch international seit den fremdenfeindlichen Krawallen vom Himmelfahrtstag hat. Zu einem Schweigemarsch gegen Rassenhaß und Gewalt kamen nur etwas mehr als 600 Demonstranten. Eberhard Löblich

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