Aus dem Giftschrank

■ Nach 24 Jahren zeigt der Südwestfunk endlich den unter Verschluß gehaltenen Fernsehfilm "Bambule" von Ulrike Meinhof und Eberhard Itzenplitz

Ob „Bambule“ nun ein Film von Ulrike Meinhof oder Eberhard Itzenplitz ist, bleibt letztlich eine Frage der Blickrichtung: Egon Netenjakob zum Beispiel schreibt das Fernsehspiel in seinem TV- Filmlexikon folgerichtig dem Regisseur Itzenplitz zu, in Bleichers „Chronik zur Programmgeschichte des deutschen Fernsehens“ steht dagegen unter dem Datum 24.5. 1970: „Ulrike Meinhofs Fernsehspiel ,Bambule‘ wird aufgrund ihrer derzeitigen politischen Aktivitäten nicht in der ARD ausgestrahlt.“ Zehn Tage zuvor hatte die Berliner Journalistin Ulrike Meinhof den Kaufhausbrandstifter Andreas Baader mit Waffengewalt aus dem Institut für Soziale Fragen befreit. Sie wurde seitdem als Teil der „Baader- Meinhof-Bande“ mit Haftbefehl gesucht. Grund genug für den Südwestfunk, den Film, zu dem Ulrike Meinhof das Drehbuch geliefert hatte, vorerst in den Giftschrank zu sperren; man wolle keinesfalls einen „Schatten auf die Verfassungstreue der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten“ fallen lassen, so der Sender damals.

Das Fernsehspiel, das der SWF sich nach genau 24 Jahren nun endlich doch auszustrahlen traut, warf dafür einen anderen Schlagschatten auf die ARD-Programmgeschichte: „Bambule“ fand trotz des Ausstrahlungsverbots Einzug in fast alle Kompendien der Fernsehgeschichte – als Beispiel für Zensur. Und auch wenn das Fernsehspiel heute abend erstmals zu sehen sein wird, wird man es sich wohl eher als Zeitdokument der frühen RAF-Jahre anschauen denn als das, als was es geplant war: ein Stück über Heimerziehung in Deutschland, über die drei Fürsorgezöglinge Jynette, Irene und Monike, die Ulrike Meinhof 1969 bei einer Recherche im Berliner Erziehungsheim Eichenhof kennengelernt hatte – und ein Plädoyer für die vielen anderen Außenseiter, Ausgestoßenen, Unterprivilegierten, die unter dem bundesdeutschen Edukationsprinzip zu leiden hatten. „Heimerziehung“, erklärte Ulrike Meinhof im Jahr der Dreharbeiten, sei der Büttel des Systems, „der Rohrstock, mit dem den proletarischen Jugendlichen eingebleut wird, daß es keinen Zweck hat, sich zu wehren, keinen Zweck, etwas anderes zu wollen als lebenslänglich am Fließband zu stehen... Bambule, das ist Aufstand, Widerstand, Gegengewalt – Befreiungsversuche“.

Immer wieder diskutierte der SWF in den letzten 24 Jahren, ob es nun vielleicht an der Zeit sei, „Bambule“ auszustrahlen. Ein Sendetermin im April 1971 wurde wieder annulliert, und als man sich 1978 zu dem zweifelhaften Unterfangen durchrang, Teile des Films zu zeigen, und zwar eingebettet in eine Dokumentation über den Terrorismus (!), wehrte sich Itzenplitz zu Recht gegen diese Verstümmelung und Verfälschung seines Films. „Der Film ist ein Film, der sich eben ausschließlich in Erzählform mit den Zuständen in der Fürsorge Jugendlicher in der Bundesrepublik beschäftigt“, erklärte der Regisseur kürzlich, „nicht aber eine weder latente noch versteckte, noch deutliche Aufforderung zu terroristischen Akten.“

Wie hatte Ulrike Meinhof 1969 gesagt? „Bambule, das ist Aufstand, Widerstand, Gegengewalt – Befreiungsversuche.“ Sie hatte das Leben, nicht den Film gemeint. Klaudia Brunst

„Bambule“, heute, 21.15 Uhr, Südwest3/SWF