Der fußkranke Deserteur

„Nase im Wind“: Die zivilen Abenteuer des Soldaten Heinz Knobloch, als er 1944 entschied, sich unentschuldigt von der Truppe zu absentieren  ■ Von Bascha Mika

Alte Soldaten erinnern sich gern – und immer falsch, behauptet Stefan Heym. Was ihn nicht hinderte, seinen Kriegserfahrungen einen großen Roman und diverse Kapitel seiner Autobiographie zu widmen. Nun hat sich ein anderer alter Soldat erinnert. Heinz Knobloch. Er widmet sein Buch Stefan Heym. Unter anderen. Und weil auch Knobloch die Männerphantasien von Veteranen kennt, beschwört er seine LeserInnen: So unwahrscheinlich es manchmal klingt, es ist doch alles wahr.

Krieg ist kein Stoff für augenzwinkerndes Fabulieren, die Nazizeit auch nicht. Doch wenn einer Erfundenes leichthin erzählen will, sollte er es anstellen wie Knobloch. Der allerdings – „Wenn ich erfinden könnte, hätte ich Stücke geschrieben oder richtige Romane“ – besteht auf der Wahrheit. Die liest sich dann so: „Hebt man beide Hände, wird die Taille schmaler. Dabei senkt sich jedes Beinkleid. Es sei denn, die Hose paßt nach Maß, oder ist gut befestigt. Meine rutschte sofort bis auf die Knöchel und erlaubte nur kleinste Schritte. So haltlos bewegte ich mich dem Feind entgegen ... Schreite, wer kann, wenn ihm seine Hose um die Knöchel hängt.“

Da rettet sich einer gerade das Leben – durch Desertion – und macht sich dabei so lächerlich wie nur irgendein Mann. Denn auch seine Hose machte sich auf die Beine: halb hoppelt, halb watschelt Soldat Knobloch der frei gewählten Gefangenschaft entgegen. Und das schreibt er dann fünfzig Jahre später auch noch so auf. Schon dafür würde ihn sicher mancher Militär gern standrechtlich erschießen. Von der Fahnenflucht ganz zu schweigen.

Der achtzehnjährige Knobloch hat sich also einfach davongemacht. Wie sein Schriftstellerkollege Alfred Andersch wollte er statt Kommißbrot die „Kirschen der Freiheit“ kosten. Andersch 1944 in Italien, Knobloch 1944 in Frankreich. Kurz nach der Landung der Alliierten in der Normandie, am berühmten längsten Tag der Kriegsgeschichte: dem D-Day. Mit drei Gleichgesinnten suchte Soldat Kno bei günstiger Gelegenheit die Stellungen der Amerikaner und fand sie auch. Was allerdings ein bißchen länger dauerte und recht anstrengend war. So einfach ist es eben doch nicht mit der Fahnenflucht.

Wie es dazu kam, schildert Knobloch in 26 kleinen Episoden: die HJ, die Wehrmacht, den Krieg. Die Geschichten sind biographisch geordnet, doch durchkreuzt er die Chronologie ständig mit vorausgaloppierenden Gedanken und Anekdoten, die bis in die jüngste Gegenwart reichen. Passend zur Fünfzigjahrfeier der Invasion erscheinen seine „Zivilen Abenteuer“ jetzt auf dem Buchmarkt. Abgeklärt schreibt er, doch jenseits aller Kälte mit praktischer, präziser Sprache und einem lakonischen Witz, bei dem man nie recht weiß, ob man schon bei der Farce angelangt ist oder noch mitten in der Tragödie steckt.

„Vor einem unzerstörten Haus stand hoch aufgereckt eine Alte, ganz in Schwarz, die hielt uns ein Kruzifix entgegen. Sie konnte meine Großmutter sein. Die hätte sich zwar nie so hingestellt, sondern verließ mit Decke und Rucksack ihre Wohnung in Dresden. Aber das war erst im kommenden Februar. Jedenfalls streckte die alte Normannin mir ihr Kruzifix entgegen, als sei ich der Gottseibeiuns, der Antichrist, das Böse schlechthin. Und vielleicht hatte sie recht.“

Wie legt man solche „Konfessionen“ ab, ohne sich als Widerstandskämpfer zu heroisieren – der man nicht war – oder sich als ahnungslos Verführter zu stilisieren – der man eben auch nicht war. Knobloch löst das mit lapidaren Sätzen wie: „Bei mir genügte allein mein Gesichtsausdruck, daß sie mich nicht wollten.“ Sie, das waren die Musterungsbehörden, die ihn schließlich doch noch zum Kriegsdienst preßten. Aber auch da bleibt Soldat Knobloch menschlich, bis zum Wiedererkennen: drückt sich, wo er kann, wird mutig, wenn es nicht anders geht, ist ständig fußkrank und behält einen Rest Verstand unterm Stahlhelm.

Ein bißchen betulich in seiner Rechtschaffenheit wird Knobloch dann schon, ein bißchen pathetisch, wenn er den mörderischen Irrsinn des Kriegs und die idiotische Willkür der Kommißköppe anprangert. Trotzdem – recht hat er allemal. Auch wenn er zwischendurch einsieht: „Solche Beschreibungen ... sind nicht nach-erlebbar. Das ist ein Grund dafür, weshalb geschilderte Kriegsgreuel keine nächste Generation davor bewahren, mitzumachen, wenn es wieder losgeht.“

Neben Stefan Heym – der sich als amerikanischer Soldat an der Invasion in der Normandie beteiligte – und Stephan Hermlin – der im französischen Widerstand kämpfte – widmet Knobloch seine „Zivilen Abenteuer“ den deutschen Deserteuren. Das gefällt den Lebenden unter ihnen bestimmt besser als ein Gedenkkranz vom Kanzler den toten Soldaten. Bascha Mika

Heinz Knobloch: „Nase im Wind. Zivile Abenteuer“. Transit Verlag 1994, 127 Seiten, 28 Mark