Je größer dein Traum ...

■ ... desto mehr Alternativen hast du. Johnny Clegg, weißer Zulu und britischer Weltstar aus Südafrika, über seine Wahlheimat

taz: Sie sind ein Topstar in Frankreich, Belgien, der Schweiz, ein international anerkannter Musiker in England und den USA. Wie kommt es, daß Sie in Deutschland bisher hauptsächlich Insidern bekannt sind?

Johnny Clegg: Wir hatten 1987 in Deutschland einen ziemlich schwierigen Start. Die Single, die uns damals in ganz Europa bekannt machte – „Asimbonanga“, ein Lied für Mandela –, wurde damals in Deutschland nicht herausgebracht. Ich habe den Eindruck, es war in Deutschland schwer, mein politisches Profil zu akzeptieren.

Das ist doch sehr merkwürdig. Die Anti-Apartheid-Bewegung in Deutschland war doch so viel stärker als zum Beispiel in Frankeich.

Die Deutschen waren aber auch wirtschaftlich viel stärker in Südafrika engagiert. Es gab damals eine Menge stillschweigende Unterstützung für das System. Ich habe entdeckt, daß verschiedene Länder eine ganz unterschiedliche Dynamik entfalten, gleichsam verschiedene Persönlichkeiten haben. Auch die Plattenfirmen sind ganz unterschiedlich. Es hat ein Jahr gedauert, bis wir uns darauf einstellen konnten. Wir mußten den Deutschen wohl erst klarmachen, daß wir keine politische Propagandamusik machen.

Wie fühlen Sie sich jetzt, nach den Wahlen?

Ich habe das Gefühl, daß es zur Zeit eine sehr starke emotionale und politische Befreiung gibt. Man spürt, daß wir jetzt eine neue Ebene erreicht haben. Außerdem gibt es jetzt keine Ausreden mehr. Natürlich besteht das Erbe der Apartheid fort, man muß sich weiterhin damit auseinandersetzen. Aber es war wunderbar, bei der Amtseinführung Nelson Mandelas das Publikum zu erleben. 50 Jahre lang haben wir miteinander gekämpft, und hier war nun plötzlich die Einführung eines neuen Staatspräsidenten nach vier Jahren Verhandlungen. Wenn man das mal mit Osteuropa vergleicht: In Rußland ist eine Verhandlungslösung weit entfernt. Jugoslawien ist ein Desaster. Die Ostblockländer, die sich, wie die meisten afrikanischen Staaten, aus einer unfreien politischen und kulturellen Tradition herleiten, haben Schwierigkeiten, überhaupt zu Verhandlungen zu kommen. Wir sind im Gegensatz dazu sehr stolz, daß es uns gelungen ist, den ersten Schritt in Richtung auf eine völlige Umwandlung der Gesellschaft zu gehen. Es gab zwar vor den Wahlen eine enorme Gewalttätigkeit, die zum Teil auch durch den Staatsapparat und die Geheimpolizei geschürt wurde. Aber die Bevölkerung hat doch nicht zugelassen, daß es zum Bürgerkrieg kommt.

Was haben Sie am Tag der Amtseinführung von Nelson Mandela gemacht?

Ich war in Pretoria und spielte um 4 Uhr nachmittags auf dem Rasen vor dem Parlamentsgebäude.

Sie waren vor kurzem auch bei einem Konzert in Soweto dabei, dem ersten, das seit Jahren wieder in den Townships stattfand. Wie war es, in Soweto zu spielen?

Für mich ist das eigentlich nichts Besonderes. Ich habe meine musikalische Karriere in Soweto begonnen. Meine erste Band, Juluka, spielte mehr in den Townships als in den weißen Gebieten. Wir haben uns dabei großartig amüsiert. Unser einziges Problem war die Polizei. Sie unterbrachen unsere Konzerte und verhafteten uns.

Wie kann man ein Konzert unterbrechen, zu dem sich so viele Musikbegeisterte eingefunden haben, die auf den ersten Ton warten?

Nun, sie kamen mit ihren Hunden und ihren Gewehren und sagten: Das war's, the show is over. Wenn sie wirklich gemein waren, ließen sie unser Konzert erst einmal beginnen, so etwa 20 Minuten lang, die Leute hatten ihr Geld bezahlt und der Veranstalter das Geld eingestrichen und war abgefahren. Und genau dann haben sie die Show gestoppt. Die Leute sind dann natürlich unzufrieden und lassen das an der Band aus. So wollten sie unsere Präsenz in den Townships brechen. Aber diese Zeiten sind jetzt vorbei.

Seit den Wahlen hat es kaum Gewalttätigkeiten gegeben. Wie war es früher? Hatten Sie Angst, nach Soweto zu gehen?

Nein, ich hatte nie Angst, nur 1985/86 bis 1990. Aber die übrige Zeit, von 1969 bis 1985, 15 Jahre, in denen ich Musik gemacht habe, erst als Johnny und Sipho, dann als Juluka, da spielten wir überall. Die Apartheidsgesetze haben uns das Leben ziemlich schwer gemacht. Manche unserer Platten wurden von der Regierung verboten. Aber wir hielten durch. Nach der Erklärung des Ausnahmezustands durch Präsident Botha wurde es auch für schwarze Künstler zeitweise unmöglich, in den Townships zu spielen. Junge Genossen von der United Democratic Front, einem Flügel des ANC, störten die Konzerte, verbrannten das Equipment, schüchterten die Leute ein. Es war eine wirklich schlimme Form von Gewalt. Damals wurden auch viele Leute bei den Konzerten umgebracht. Open-air-Konzerte in den Jahren 1985 bis 1987 endeten oft mit Aufruhr, Zerstörung. Es war furchtbar. Eine furchtbare Zeit für die Musik.

Wie haben Sie diese Verhältnisse überlebt?

Ich konnte dann nicht mehr in die Townships hinein, blieb am Rand der Schwarzensiedlungen, spielte auf dem Gelände der Universitäten, schwarzen und weißen Universitäten.

1986, als Sie zum ersten Mal nach England kamen, gab es ziemlichen Ärger mit den Gewerkschaften ...

Es gab damals diesen Kulturboykott. Ich war Mitglied der britischen Musikergewerkschaft. Dann hieß es, die Mitgliedschaft in der Gewerkschaft sei unvereinbar mit Auftritten in Südafrika. Ich sagte den Funktionären: „Aber ich lebe in Südafrika.“ Sie sagten, ja, dein Fall ist ein Sonderfall, aber wir können keine Ausnahme machen... Die Anti-Apartheid-Bewegung hat meine Position letztlich unterstützt, aber erst nach vier Jahren.

War der Kulturboykott erfolgreich und sinnvoll?

Ich fand die Art, wie der Kulturboykott in die Praxis umgesetzt wurde, überhaupt nicht hilfreich für die Entwicklung der südafrikanischen Kultur – und auch nicht zur Vermittlung progressiver kultureller Werte. Es war kein Boykott, sondern ein Blackout. Es war gleichgültig, ob man Angehöriger der unterdrückten Kultur war oder des Unterdrückers – wenn man aus Südafrika kam, wurde man boykottiert. Man hat also die Krankheit geheilt, indem man den Körper zerstörte. Wir haben innerhalb Südafrikas darum gekämpft, den allgemeinen Boykott zu einem selektiven Boykott umzuformen. Das geschah 1988 in Athen mit Unterstützung der UNO. Aber die britische Musikergewerkschaft akzeptierte den Wechsel noch lange nicht. Ich war eine Art Enfant terrible für die britischen Gewerkschaften, denn ich war immer in den Medien und stritt mich mit ihnen herum. Warum, fragte ich sie, müssen Leute, deren Platten verboten sind, deren Konzerte von der Polizei abgebrochen werden, auch noch im Ausland behindert werden? Das gibt doch keinen Sinn!

Wie sehen Sie Ihre Entwicklung als Musiker in den letzten Jahren?

Beim neuen Album „Heat, Dust and Dreams“ geht es um das Thema Veränderung: die Hitze politischer Leidenschaften, die Hitze der Gewalt, den Staub als Ewigkeit, das, was sich nie ändert. Liebe, Haß, Neid, Mitleid, Zusammenarbeit, Konkurrenz – in welcher Gesellschaft auch immer. „Dreams“ heißt die Zukunft: je größer dein Traum, desto mehr Alternativen hast du. „Heat, Dust and Dreams“ ist also eine Formel, die all das zusammenfaßt, was Südafrika für mich in denn letzten vier Jahren bedeutet. Am 4. Mai 1992 wurde mein Percussionist und Tänzer in Umzinga bei einer Art Stammesfehde erschossen. Ein Song, den ich für ihn schrieb, war dann das Fundament dieses Albums, „The Crossing“. Dann gibt es auch ein paar sehr persönli

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che Lieder. Man kann eine Verfassung oder ein politisches System ändern, aber die Leute bleiben doch immer dieselben, wenn sich das Herz nicht ändert. Was heißt denn Veränderung? Es ist die furchtbarste Erfahrung, die ein Mensch überhaupt machen kann. Egal, ob das auf der allgemeinen oder auf der persönlichen Ebene erlebt wird: durch Scheidung, Tod oder Verlust. Ich habe daraus die Leitmetapher des Albums gemacht. Wir haben früher davon geredet, die Welt zu verändern. Aber jetzt willst du einfach nur deinen Namen ändern. Du willst heiraten und dich irgendwo niederlassen. Warum? Wovor hast du Angst? Wo ist deine Leidenschaft hin? Darum geht es bei dem Album.

Es gibt ja keinen objektiven Sinn in der Welt. Man stellt ihn selbst her. Man bringt ihn mit und gibt ihn weiter. Jeden Tag konstituiere ich den Sinn neu und handle die Realität neu aus. Wenn man kein richtiges Feedback bekommt, lebt man in einer falschen Welt.

Wie wichtig ist Ihre Zugehörigkeit zur Zulu-Kultur für Sie?

Sie ist für mich sehr wichtig. Für mein Gefühl von Männlichkeit, meine Kriegerethik, die ich als kleiner Junge entwickelt habe und die mir half, schwere Zeiten zu überstehen. Auch stur zu sein. Sturheit ist eine negative Eigenschaft in unserer Gesellschaft. In der Zulu-Kultur ist dagegen eine gewisse Form von Sturheit ein durchaus positiver Wert. Sie hilft einem, in Zeiten der Anspannung zu überleben.

Sind die traditionellen Ideen der Zulus für Sie Metaphern über das Leben? Oder sehen Sie sie als wirklich an?

Ich glaube, jede Form von Wissen ist metaphorisch. Die Wissenschaft ist eine Metapher. Alles steht für etwas anderes. Ich habe vier Jahre lang Anthropologie an der Universität unterrichtet, geforscht, einen Abschluß in Anthropologie und Politik gemacht. Ich habe vielfach zwischen den Kulturen geforscht. Ich glaube, alle Bedeutungs- und Erklärungsversuche in der Philosophie sind Metaphern, die es uns ermöglichen, uns zur Realität in bezug zu setzen. Deshalb ist die Mythologie, sind die großen Legenden so wichtig. Du wächst zum Beispiel in einer kleinstädtischen Umgebung auf. Wenn du 15 bist, gibt es dann diese kleine Geschichte in der Stadt von jemandem, der älter ist als du selbst, der ein Kämpfer war oder einen sonst irgendwie beeindruckt hat. Daraus wird eine kognitive Landkarte in deinem Kopf, du kannst dein Leben auf dieser Landkarte ablesen und bestimmen und dann vielleicht zwei Jahre lang auf dieser Ebene mit deinen Problemen fertigwerden. Dann sagst du dir vielleicht: Jetzt möchte ich auf die Universität, ich möchte jetzt eine intellektuelle Arena haben, wer kann jetzt mein Modell sein? Woher bekomme ich jetzt meine Mythologie, meine Geschichte? Es sind immer Metaphern, die das ermöglichen.

Warum haben Sie mit dem Unterricht an der Universität von Johannesburg aufgehört?

Weil ich einen Top-40-Hit in England hatte.

Ist es Ihnen schwergefallen?

Ich unterrichte wahnsinnig gern. Ich arbeitete in Johannesburg mit Dr. David Webster zusammen, einem Anti-Apartheid- Aktivisten, der von Staatssicherheitskräften 1989 ermordet wurde. Ich schrieb ein Lied für ihn: „One Human, One Vote“, das hier in Südafrika verboten war. Er war der Vorsitzende der Elternvereinigung verhafteter Apartheidsgegner. Er spürte verschwundenen politischen Gefangenen nach. Er war eine Art politischer Katalysator. Denn die Linke war, wie eigentlich überall auf der Welt, gespalten und zerrissen zwischen Radikalen und Pragmatikern. Manche Gruppen lehnten es ab, mit anderen Gruppen zusammenzuarbeiten, weil sie in irgendeiner Form mit der Regierung zusammenarbeiteten. Webster brachte all diese Gruppen zusammen, vermittelte, sagte: „Schaut mal, das ist ein ziemlich extremer Standpunkt, den ihr da einnehmt. Ihr müßt verstehen, daß diese bestimmte Township-Gemeinde mit der Polizei in dieser oder jener Frage reden muß ...“ Er war sehr wichtig und spielte eine wunderbare Rolle, nicht nur politisch, sondern auch kulturell und musikalisch.

Einige Ihrer Freunde sind auf diese Weise umgebracht worden. Kann man dieses Gefühl des Verlusts beschreiben?

Der Augenblick, in dem einen das trifft, ist ein Augenblick höchster Angst und Erregung. In den Worten John Donnes: Jeder Tod reißt uns aus uns heraus, erinnert uns, ist eine Schulderklärung. In den letzten beiden Jahren sind zwei Schlüsselfiguren meines Lebens totgeschossen worden. Manchmal denke ich nachts über den Tod nach, meinen Tod, mache mir Sorgen über die Zukunft meiner Kinder, die Nähe dieses Augenblicks. Manchmal wollte ich auch schon aufgeben, einfach nur im Garten sitzen und mich von der Welt verabschieden. Aber normalerweise komme ich darüber hinweg. Ich bin eigentlich ein robuster Typ.

Vorhin haben Sie im Zusammenhang mit der Zulu-Kultur von Ihrer „Kriegerethik“ gesprochen. Diese Kriegerethik ist ja in Europa durch die Bilder, die wir von der Inkatha-Partei bekommen, eher berüchtigt. Für jeden in Deutschland, der nicht gerade ein Spezialist ist, erscheint Zulu gleichbedeutend mit Inkatha. Wie denken Sie über Inkatha und wie benutzen Sie Ihre Rolle als perfekter Kenner der schwarzen Kultur, um möglicherweise auch politisch Einfluß zu nehmen?

Nicht alle Japaner sind reaktionäre Samurai. Nicht alle Deutschen sind Nazis. Es gibt nichts in der Zulu-Kultur, was an sich gewalttätig, konservativ oder rückwärtsgewandt wäre. Die Werte jeder Kultur können von Individuen beliebig mißbraucht werden, zu welchen politischen Zwecken auch immer. Die Zulu-Kultur gab es lange vor Inkatha und wird noch lange nach der Auflösung von Inkatha weiterbestehen. Ich liebe diese Kultur. Etwas daran spricht mich sehr tief an. Vielleicht deshalb, weil ich damit aufgewachsen bin und weil es mir hilft, einen Sinn in der Welt zu finden. Die Wahlen in Südafrika haben gezeigt, daß die Zulu-Nation politisch gespalten ist und viele Zulus Inkatha nicht unterstützen. Das Bild, das die Medien von Inkatha verbreiteten, sollte das Bild eines ethnisch gespaltenen Südafrika untermauern. Dahinter steckte eine konservative politische Absicht, die die liberale Presse in Südafrika übrigens unterstützt hat. Man wollte den ANC an der Erringung eines erdrutschartigen Sieges hindern. Das Bild in den Medien ist völlig verzerrt worden: Man hat die ganze Zulu-Nation mit Inkatha identifiziert, während es doch nur eine bestimmte politische Gruppe war, die innerhalb der Zulus eine Partei unterstützte.

Was halten Sie persönlich von Mr. Buthelezi?

Ich glaube, er ist ein sehr verschlagener und arglistiger Politiker. Der ANC hat sich in der Frage der Ethnizität ziemlich verrechnet. In Natal und in der Westlichen Kapprovinz hat der ethnische Faktor den ANC um den Wahlsieg gebracht. Das liegt daran, daß der ANC seine Politik aus einer klassisch marxistischen Analyse von Südafrika herleitet, die auf Klassenvorstellungen beruht und die Kultur als eine Mystifizierung der Strukturen ansieht, die auf Ausbeutung und Unterdrückung zielen. Das ist sehr schade. Die letzten vier Jahre haben aber diese Perspektive abgeschwächt.

Würden Sie das dem ANC so sagen?

Das weiß der ANC schon.

Was für eine Beziehung haben Sie zum ANC?

Eine sehr herzliche.

Wie sehen Sie Ihr Verhältnis zu anderen Musikern in Südafrika?

Wir sehen uns und spielen manchmal zusammen. Die Jazzmusiker, die Rocker, die Bakanga- Musiker stecken viel zusammen. Ich habe mehr mit den traditionellen Musikern zu tun. Ich habe ein ziemlich großes Netz von Beziehungen und Freundschaften.

Ich habe den Eindruck, daß die Musiker und Künstler in Südafrika besonders freundschaftlich miteinander umgehen. Stimmt das?

Nein. Es herrscht eine harte Konkurrenz, um sich auf einem knappen Markt und mit sehr knappen Mitteln behaupten zu können. Es gibt eine Menge offener Rivalitäten. Vielleicht ist es aber auch etwas Afrikanisches, daß viele glauben, der Markt hier sei so begrenzt und daß, damit man selbst Erfolg hat, die anderen Mißerfolge haben müssen. Es gibt eine romantisch- verklärte Vorstellung von Musik und Musikern. Manchmal gibt es aber auch einen sehr schönen, freundschaftlichen Wettwerb unter Musikern, wie in Amerika bei Rappern und Rockmusikern, die sich um die Nr. 1 streiten.

In Deutschland sind unter den südafrikanischen Musikern vor allem Miriam Makeba und Dollar Brand bekannt.

Ich glaube, Deutschland hat sich als eine Folge des Kulturboykotts noch gar nicht mit der zeitgenössischen südafrikanischen Musik auseinandergesetzt. Interview: Werner Bloch

Konzerttermine: 14.6. München, 15.6. Karlsruhe, 16.6. Nürnberg, 18.6. Konstanz