„Psychotiker“ klingt wie ein Beruf

■ betr.: „Das normale abstrakte Denken verwandelt sich in ein bildhaftes“, taz vom 3.6.94

Denkwürdig, daß ausgerechnet die im Bundesverband der Psychiatrie-Erfahrenen engagierte Dorothea Buck die von PsychiaterInnen entwickelte Sprache wie „Pschose“ – sie erklärt nicht, was sie darunter versteht – oder „Schub“ kritiklos übernimmt; vielleicht sind die Psychiatrie-Erfahrenen alle „krankheitseinsichtig“ geworden, eins der Ziele psychiatrischer Behandlung mit Neuroleptika (nervenlähmende Mittel) beziehungsweise Antidepressiva. Wie die moderne Psychiatrie – damit meine ich therapeutische Wohngemeinschaften, Kontakt- und Anlaufstellen, Übergangswohnheime, Tages- und Nachtanstalten – in der öffentlichen Darstellung sich überhaupt nicht über die Wirkung von Nervengiften (psychiatrische Psychopharmaka) äußert, so meidet auch Frau Buck über die möglicherweise gehirnwäscheähnlichen Folgen zu sprechen, wo andererseits Nervengifte das Fundament der Psychiatrie bilden.

Durch die Nervengifte wird der Knast in den Körper des Menschen verlegt, da sind äußere Gitter überflüssig geworden. Der erzeugte Parkinsonismus (Schüttellähmung) und das ständige Trippeln mit den Beinen, noch ein sabernder Mund, eine unverständliche Sprache, schaffen ein äußeres Erscheinungsbild, daß Kontaktaufnahmen fast verunmöglicht: die perfekte Kommunikationssperre. Wieso braucht eine Psychiatrie, die auf den Erfahrungen der InsaßInnen beruht, noch PsychiaterInnen? Soll da nun doch abgespritzt werden, wenn die InsaßIn nicht nur brav ihre Geschichte erzählt, sondern einen „unweiblichen“ Wutausbruch ausstößt?

Die Ansichten der Frau Buck sind sehr schwammig gehalten, sie enthalten leider nicht die Abschaffung von Zwangsbehandlung und Zwanseinweisung; Psychiatriebetroffene wissen, daß ein sogenannter freiwilliger Aufenthalt leicht in eine Zwangseinweisung umgewandelt werden kann. Entschieden wird das von PsychiaterInnen, genauso wie sie definieren, wer als „psychotisch“ gilt, manche gehen schon von verschiedenen Bewußtseinstufen aus, aber an psychiatrischen Krankheitsbegriffen wird auch von denen festgehalten. „Psychotiker“ klingt wie ein Beruf, der lebenslänglich ausgeführt wird. Ent-Psychiatrisierung kann nur passieren, wenn die Betroffenen Ihre Erlebnisse in einer eigenen Sprache vermitteln und sich nicht mehr als „Krankheit“ wegnehmen lassen, für die sie laut psychiatrischer Definition auch nicht verantwortlich sind. Klara Heselkaus, Berlin