Waren es „die Heuchler“ oder Sunniten?

Im Iran wird gerätselt, wer hinter dem Bombenanschlag von Maschhad steckt / Die Regierung gibt den Volksmudschaheddin die Schuld, doch es bekannte sich eine Sunniten-Organisation  ■ Von Ahmad Taheri

„Ein solches Verbrechen gab es noch nie in unserer Geschichte“, meldete sich nach dem Bombenanschlag in der ostiranischen Stadt Maschhad Irans geistliches Oberhaupt Said Ali Chamenei zu Wort. Zwanzig Menschen wurden am Montag bei der Explosion in dem größten schiitischen Heiligtum des Landes getötet. Für das Blutbad machte Chamenei die „Monafeghin“, die „Heuchler“ verantwortlich. Der Terminus steht in der offiziellen Sprache Irans für die oppositionellen Volksmudschaheddin. Man habe noch vor kurzem, so Radio Teheran, einen „Terroristen“ verhaftet, der im Auftrag der Monafeghin einen Anschlag auf den Heiligen Schrein plante. Die Volksmudschaheddin wiesen dies als „infame Lüge“ zurück.

Seit Jahren sind die Volksmudschaheddin die Sündenböcke der klerikalen Herrschaft. Selbst die zunehmende Unzufriedenheit der Bevölkerung, die sich gelegentlich in spontanen Demonstrationen Luft macht, wird als Provokation der Mudschaheddin hingestellt. Doch für den Anschlag von Maschhad übernahmen andere die Verantwortung. Eine bis dato unbekannte „Sunnitische Versammlung“ bezeichnete das Blutbad als Rache für die Zerstörung einer sunnitischen Moschee.

Bombenanschläge gab es schon öfter in der Islamischen Republik. Doch der jüngste Anschlag ist für die frommen Schiiten in zweifacher Hinsicht ein Verbrechen ohnegleichen: Die Bombe explodierte am Aschura-Fest, und Tatort war das heilige Mausoleum des achten schiitischen Imam. Seit Generationen feiern Millionen von Schiiten am Aschura, dem zehnten Tag des islamischen Monats Muharam, das Martyrium Husseins, ihres dritten Imams. Der Enkel des Propheten war mit seinen 72 Gefährten in Kerbela im heutigen Irak von dem übermächtigen Heer der Omajaden erschlagen worden. Die heilige Stadt Maschhad ist ein Zentrum des Trauerfestes. Zehntausende von Gläubigen ziehen mit schwarzen Fahnen und Asche auf dem Haupt zum Mausoleum, wo die Feier ihren Höhepunkt erreicht. Das Mausoleum ist das höchste schiitische Heiligtum im Iran. Begraben ist unter der im 16. Jahrhundert gebauten goldenen Kuppel Ali Ibn Musa Ar-Resa, der achte der zwölf schiitischen Imame. Nach der Überlieferung wurde Ar-Resa, Sohn einer Perserin, zu Beginn des 9. Jahrhunderts auf Geheiß des Abbasiden-Kalifen Ma'mun vergiftet. Seitdem ist Maschhad, auf deutsch „Stätte des Martyriums“, ein Zentrum der schiitischen Frömmigkeit.

Das Bekenntnis der „Sunnitischen Versammlung“ kann der Wahrheit entsprechen. Im Januar dieses Jahres ließ der Bürgermeister von Maschhad eine Moschee der Sunniten aus „städtebaulichen Gründen“ niederreißen. Daraufhin zogen Tausende von Menschen in der ostiranischen Stadt Zahedan, die von sunnitischen Belutschen bewohnt wird, durch die Straßen, steckten die Regierungsgebäude in Brand und lieferten den Pasdaran, den Revolutionswächtern, blutige Kämpfe. Zehn Prozent der iranischen Bevölkerung sind Sunniten: die Kurden im Westen, die Turkmenen im Norden, die Belutschen wie Teimuri im Osten. Hinzu kommt, daß in der Provinz Chorasan mit dem Zentrum Moschhad die meisten der zwei Millionen afghanischen Flüchtlinge leben, unter denen wiederum die Sunniten die Mehrheit bilden. Zwar trat Ayatollah Chomeini als Gralshüter des „wahren Islam“ für religiöse Versöhnung ein, doch für die schiitische Volksreligiosität gelten die Sunniten nach wie vor als Feinde des Prophetenhauses. Die Beschimpfung der von Sunniten geehrten Kalifen Ali Bakr und Omar ist gang und gäbe. Gerade an Aschura, an dem man religiösen Leidenschaften freien Lauf läßt, kam es in der Vergangenheit zu Auseinandersetzungen zwischen beiden Richtungen des Islam.

Beim Attentat in Maschhad spielt neben der religiösen Vergeltung vielleicht auch Blutrache eine Rolle. Das drakonische Vorgehen Teherans gegen den Drogenhandel richtet sich vor allem gegen Belutschen und Afghanen, bei denen die Blutrache ein hehres Gesetz ist. In den vergangenen Jahren wurden Hunderte von Belutschen und Afghanen als Dealer hingerichtet.