Das Kurzzeitgedächtnis im Wahlkampf

In Sachsen-Anhalt meiden die Wahlkämpfer die Auseinandersetzung mit der Ausländerfeindlichkeit / Die Parteien reden von Sicherheit, aber nicht von der der Flüchtlinge  ■ Aus Magdeburg Wolfgang Gast

Ein typischer Wahlkampfdialog, die Kontrahenten ein Amtsinhaber und sein Herausforderer. Ihre Partei, grollt der im Amte, hat im Bundesrat die Verabschiedung des Verbechenbekämpfungsgesetzes torpediert, mit schwerem Schaden für die Innere Sicherheit als Folge. Falsch, ganz falsch, hält der andere dagegen, wir brauchen keine neuen Gesetze, die geltenden müssen nur konsequent angewendet werden. Hier, werter Kollege, hat ihre Partei völlig versagt.

Das Wortgefecht könnte im Bundestag, im Bundesrat, es könnte eigentlich überall in der Bundesrepublik stattfinden. Schauplatz des Geschehens ist aber der Mitteldeutsche Rundfunk, dessen „Elefantenrunde“ im Landesfernsehen mit den Spitzenkandidaten der Parteien. Mit dabei der SPD-Hoffnungsträger Reinhard Höppner und CDU-Ministerpräsident Christoph Bergner. Die Einschaltquote ist hoch, schließlich wird morgen in Sachsen-Anhalt ein neuer Landtag gewählt.

Sachsen-Anhalt hat in den letzten Monaten immer wieder Schlagzeilen gemacht. Letzte Stationen: Am Himmelfahrtstag die Menschenjagd in Magdeburg, an Pfingsten in Halle ein erneuter brutaler Überfall auf einen Flüchtling aus Zaire, in Magdeburg werden am gleichen Tag wiederum Afrikaner von Skinheads mit Baseballschlägern bedroht. Für die Magdeburger Polizeipressestelle: „Keine besonderen Vorkommnisse“. Die letzten Ereignisse werden in der Fernsehdiskussion Mitte letzter Woche bestenfalls am Rande gestreift. Die Damen und Herren parlieren über die hohe Bonner Innenpolitik, die skandalösen Ereignisse im eigenen Land bleiben außen vor. Ausländerfeindlichkeit ist ein schlechtes Wahlkampfthema.

Erschreckend ist, urteilt Günter Piening, wie schnell nur wenige Tage nach den rassistischen Übergriffen alle wieder „zum Alltag zurückgefunden“ haben und „wie wenig sich seitdem getan hat“. Piening ist Fraktionssprecher von Bündnis 90/Grüne im Landtag und Mitarbeiter im Verein „Nachbarschaftliches Cracau-Prester“. Dieser Verein war es, der mit der Veröffentlichung von Gedächtnisprotokollen verfolgter Ausländer die Magdeburger Menschenjagd und die Untätigkeit der Polizeibehörden publik machte. Ausländerfeindlichkeit ist nach Pienings Worten nicht nur kein Thema – flankiert werde der weit verbreitetet Wunsch, das Thema nicht wahrnehmen zu müssen, durch Rechtfertigungsfloskeln etwa des Ministerpräsidenten Bergner, der die Berichterstattung über das Verhalten der Polizei als „aufgebauscht“ bezeichnet. Kein Thema auch, daß Polizei, Staatsanwälte und Gerichte sich vorwerfen lassen müssen, das Treiben der Ausländerfeinde fast schon gefördert zu haben. Gegen Punks und Autonome schritten die Strafverfolger immer eilig ein. Skinheads, Hooligans und Neonazis dürften sich dagegen in einem de facto rechtsfreien Raum bewegen. Strafverfolgung findet bisher – wenn überhaupt – nur halbherzig statt.

Die „Ausländerfrage“, meint ein Basis-Arbeiter der SPD in der Elbestadt, wird auch im Wahlkampf immer „nur dann aktuell, wenn sie Schatten wirft“. Dem Mann treibt zwar, wie er engagiert erklärt, das Treiben der Skins „die Schamesröte ins Gesicht“. Aber auch bei ihm ist Fremdenfeindlichkeit bereits zur „Ausländerfrage“ mutiert. Konsequent möchte er daher auch die „Ausländerfrage“ lieber nicht zum Wahlkampfthema gemacht wissen: „Es würde am Ende mehr schaden als nutzen.“ Die täglichen Probleme wie die Arbeitslosigkeit überforderten die Menschen, ein gereiztes Klima sei die Folge. Die sich aufschaukelnde Stimmung beackerten dann die Rechten, die „vom Untergang des Abendlandes“ orakelten. Selbst die eigene Partei sei da nicht ausgenommen. Beim Thema Ausländer würden selbst „ansonsten ganz vernünftige“ Genossen mitunter „extreme Ansichten vertreten“. Die SPD repräsentiere leider auch nur „den Querschnitt in der Bevölkerung“. „Mit Sicherheit vorwärts“, heißt das Wahlkampfmotto des SPD-Herausforderes Reinhard Höppner. Die „Sicherheit stärken“ ließ auch Ministerpräsident Cristoph Bergner landesweit plakatieren. Die Sicherheit für ausländische Flüchtlinge, die läßt einstweilen auf sich warten.