Auf der Suche nach persönlicher Freiheit

■ Russische Feministinnen wollen individuelle Vielfalt statt starre ideologische Rahmen

Was eigentlich ist russischer Feminismus? Sechs Fachfrauen aus Moskau und Sibirien, die vor kurzem zwecks Erfahrungsaustausch in Berlin waren, versuchen eine Antwort:

Rimma Beljakovskaja („Unabhängiges Frauenforum“, Moskau): Feminismus ist für mich die einzige Möglichkeit, für eine freie nicht- hierarchische Entwicklung. Daß man sich nicht zum Platz an der Sonne durchschlägt, daß man andere nicht verdrängen oder unterdrücken muß, um die eigenen Ziele zu erreichen. Wichtig ist eine Ausgewogenheit zwischen Kollektivismus und Individualismus.

Valentina Konstantinova („Ariadna“, Moskau): Russische Feministinnen haben eine sehr kritische Einstellung zum Kollektivismus. Sie sind im alten System Individualistinnen geworden, um sich ihre Autonomie zu bewahren und sich treu bleiben zu können. Gut am Feminismus ist, daß er offen ist und keinen starren Rahmen setzt.

Elena Mezenceva („Zentrum für Geschlechterrollenforschung, Moskau): Ich denke auch, daß Feminismus ein sehr breiter Begriff ist. Es gibt Frauen, die mit dem Wort nichts anfangen können, die aber sehr stark sind und ihr Leben selbstbestimmt leben. Frauen zum Beispiel, die den Mut haben, sich mit anderen zusammen selbständig zu machen, etwas aufzubauen. Das sind für mich auch Feministinnen.

Gibt es in Rußland eine feministische Tradition?

Marina Baskakova: Eigentlich nicht. Früher war den russischen Frauen die Diskriminierung nicht so bewußt. Natürlich gab es auch da schon eine Diskriminierung, zum Beispiel im Beruf. Aber das war nur einem kleinen Kreis von Fachleuten klar, weil es verboten war, darüber zu schreiben.

Elena Mezenceva: Auch in der Politik waren die Frauen nur Marionetten. Erst nach der Abschaffung der Quote, als viele Frauen aus politischen Ämtern rausflogen, wurde deutlich, wie niedrig der Status der Frauen in unserer Gesellschaft ist.

Galina Volina (Fonds zur Unterstützung von Künstlerinnen, Moskau): Das sieht man jetzt auch an der Werbung. Sie erniedrigt die Frauen. Und dann die Filme, die sogar im Fernsehen laufen, Streifen mit Titeln wie „Die Gummifrau“! Das Frauenbild, das in solchen Filmen vermittelt wird, ist demütigend und wirkt sich natürlich auf die Psyche der Frauen aus.

Worin sehen Sie den Unterschied zwischen den russischen und den deutschen Feministinnen?

Natalja Sapcina (Stiftung zur Unterstützung von Fraueninitiativen, Belovo): Die deutschen Frauen wollen nicht dem Frauenbild der Männer entsprechen und versuchen alles umzudrehen. Statt Mutter wollen sie Lesbierin sein. Das hat mich sehr verwundert. Vom Frauenbild der Männer wollen sie loskommen und werden dann in vielen Dingen den Männern ähnlich.

An welchen Bildern orientieren sich die Russinnen?

Natalja Sapcina: Auch die russischen Feministinnen wollen nicht so sein, wie die Männer es von ihnen erwarten. Ich möchte ich selbst sein.

Wie soll das gehen, jenseits der herrschenden Bilder?

Elena Mezenceva: Das ist sehr schwierig, aber ich denke, das ist die Bewegung zur persönlichen Freiheit. Auch die Männer werden erzogen, zwar langsam, aber wir sind voller Hoffnung, daß es einen Fortschritt gibt.

Valentina Konstantinova: Aber auch eine radikale Ausrichtung hat das Recht, in der Frauenbewegung zu existieren. Also zum Beispiel Frauen, die nur mit Frauen zusammensein wollen.

Natalja Sapcina: Die radikalen Erscheinungsformen sollten aber nicht in den Vordergrund gerückt werden. Sonst lehnen Frauen, die in der Praxis eigentlich Feministinnen sind, die Bewegung ab. Deshalb sollten das breite Spektrum des Feminismus aufgezeigt und auch Männer miteinbezogen werden.

Marina Baskakova (Zentrum für Geschlechterrollenforschung, Moskau): Die Männer sollten auch Zutritt zu den Frauenprojekten haben. Dafür könnten wir Eintritt nehmen und sie so den Feminismus mitfinanzieren lassen.

Interview: Bascha Mika/
Sonja Schock