■ Clinton, die Deutschen und die Berliner Republik
: Ach, Germany!

Bis zum heutigen Tag bestimmt mich ein Gefühl der Ambivalenz. Im positiven Sinne teile ich sehr wohl die Bewunderung Clintons für die Bundesrepublik. Mit ihm glaube ich auch, daß die Bonner Republik eine erfolgreiche und rechtschaffene Konstruktion war, die der Welt weit mehr Gutes als Schlechtes bescherte. Natürlich war ihre Crux, daß sie einen ökonomischen Riesen darstellte, politisch aber ein Zwerg blieb. Diese Tage sind vorbei. Clinton weiß das, ich weiß das, die Amerikaner wissen es – und auch die Deutschen wissen es, auch wenn einige von ihnen nicht ehrlich genug sind, es zuzugeben.

Aber welche Deutschen wissen was? Und vor allem, welche der sehr unterschiedlichen deutschen Vorstellungen werden in das neue Paradigma einfließen, das notwendigerweise die Berliner Republik definieren wird? Wie werden Macht und Demokratie – in der deutschen Geschichte traditionell nicht gerade die besten Partner – im neuen Deutschland versöhnt? Es bleibt meine tiefste Überzeugung, daß die Antworten durch demokratische Willensbildung der Deutschen gefunden werden, gefunden werden müssen. Man weiß aber auch, daß gerade dies kaum in einem Vakuum geschieht und daß die Worte und Taten eines amerikanischen Präsidenten beträchtliches Gewicht haben. Daher meine Sorge über Clintons Auftritt am Brandenburger Tor. So ehrenwert seine Absichten auch sein mögen. Tatsache ist jedoch, daß er damit geradezu eine Rede im Sinne der CDU hält. Ein schwacher Trost für jemanden wie mich, der besorgt ist, daß gerade die Berliner Republik nicht die richtige Balance zwischen Macht und Demokratie, Engagement und Abstand, Verwicklung und Unnahbarkeit hält, um ein verantwortlicher, doch kein gefährlicher „Spieler“ zu werden!

Letztlich ist dies aber nicht Clintons Problem, sondern das aller fortschrittlichen Kräfte in Deutschland. Sie müssen eine politische Strategie entwickeln – und eine Identität –, die endlich damit klarkommt, daß die Realitäten von Macht und Demokratie in der Bonner und Berliner Republik fundamental verschieden sind. Ich bleibe bei meiner Maxime, sicherlich nur ein erster Trittstein in diesem Dilemma: daß eine aktive deutsche Intervention im Konzert mit und unter Schirmherrschaft internationaler Organisationen überall da erlaubt sei, wo die Geschichte Deutschland als unbelastet ausweist. Wo dies nicht der Fall ist, bleibt orthodoxe Abstinenz angesagt. Das schließt selbstverständlich jede Intervention in Deutschlands Hinterhof, insbesondere Europa, aus. Aber das ist nicht weiter tragisch. Andrei Markovits

Vorsitzender der Abteilung Politische Wissenschaften der Universität von Kalifornien, Santa Cruz; zuletzt erschienen: „The German Left: Red, Green and Beyond“ (1993)