Angeklagter belastet

■ Platzt Magdeburgs Himmelfahrtprozeß?

Magdeburg (taz) – Allen Zuschauern des ersten Prozesses nach den ausländerfeindlichen Krawallen am Himmelfahrtstag in Magdeburg ist künftig untersagt, sich während der Verhandlung Notizen zu machen. Dies verkündete gestern die Vorsitzende Richterin gleich zu Beginn des vierten Verhandlungstages. „Es bestehen erhebliche Bedenken, daß derartige Aufzeichnungen zur Beeinflussung von Zeugen und damit zu einer Beeinträchtigung des Verfahrensablaufes benutzt werden“, hieß es zur Begründung.

Bisherige Aussagen von Entlastungszeugen ähneln sich in ihrer Struktur auffallend. Kaum einer will etwas gesehen haben. Jeder der Zeugen weiß genau, daß die Angeklagten an den Ausschreitungen nicht beteiligt waren. Die Staatsanwaltschaft äußerte deshalb schon mehrfach den Verdacht, daß die Aussagen der von der Verteidigung benannten Entlastungszeugen abgesprochen seien und die Zeugen auf ihre Aussage vorbereitet wurden.

Unterdessen hat ein unabhängiger Zeuge einen der Angeklagten gestern erheblich belastet. Er habe den 19jährigen Stefan W. als einen der Rädelsführer der Ausschreitungen vor der Marietta-Bar und dem danebenliegenden Döner- Imbiß beobachtet, sagte der 25jährige Student Norman W. Der Angeklagte habe nicht nur Tische und Bänke in die Schaufensterscheibe des Imbisses geworfen, sondern anschließend einen flüchtenden türkischen Mitarbeiter der Imbißstube gemeinsam mit zwei weiteren Hooligans brutal zusammengeschlagen. Im Gerichtssaal erkannte der Zeuge den Angeklagten zweifelsfrei wieder. Die Gruppe habe vor ihrem Angriff auf Imbiß und Bar rechtsradikale Parolen gebrüllt, erklärte Norman W. „Und wenn dann einer mit so langen und lockigen blonden Haaren dabei ist, fällt der natürlich besonders auf. Zumal, wenn er ganz offensichtlich die treibende Kraft der Angriffe ist.“

Ein Hooligan auf der Zuschauerbank wurde vom Gericht vom Prozeß ausgeschlossen, weil er während der Aussage von Norman W. versucht hatte, durch Mimik und Gestik mit den drei Angeklagten in Kontakt zu treten.

Das Gericht gerät zunehmend in Zeitdruck. Weil zahlreiche Zeugen der Vorladung nicht Folge leisten, mußten bereits mehrere zusätzliche Verhandlungstage angesetzt werden. Bis zum kommenden Dienstag muß das Urteil jedoch verkündet werden, denn am Mittwoch fährt einer der Schöffen in den Urlaub. Ist die Hauptverhandlung bis dahin nicht abgeschlossen, könnte der ganze Prozeß vorerst geplatzt sein. Eberhard Löblich