Der Schöngeist als Chefredakteur

■ „Emil Faktor – Ein Mann und (s)eine Zeitung“

Auf dem Cover ist ein Titelblatt des Berliner Börsen-Couriers abgebildet, es ist die Abend-Ausgabe vom 6. März 1926. Untertitel: „Moderne Tageszeitung für alle Gebiete“. Emil Faktors Porträt ist aus einem größeren Foto herausgerissen und daraufgelegt worden. Darunter seine Unterschrift. Diese Collage ist irreführend.

Denn zwischen 1917 und 1931 war Faktor zwar Chefredakteur des Börsen-Couriers, aber genau zu diesem Zeitpunkt, 1925/26, teilte er sich den Posten mit dem Wirtschaftsfachmann Gustav Stolper. Und außerdem war Emil Faktor nie ein politischer Kopf, dessen scharf analysierende Leitartikel das Blatt geprägt hätten. Er war vielmehr Theaterkritiker und Feuilletonist, verfaßte Gedichte und gelegentlich Dramen. Der Schöngeist als Chefredakteur.

Und Klaus Täubert macht doch auch, bei aller Sympathie für Faktor, keinen Hehl aus dessen Desinteresse an der politischen Berichterstattung. Vielleicht muß man anders auf diese Titelcollage blicken: Faktors Kopf schwebt über der ersten Seite, umgeben von der Schwärze des Fotos, mit der Distanz der Unbedarftheit zum Tagesgeschehen. Ob das allerdings von der Edition Hendrich so sorgfältig durchdacht und komponiert wurde?

Klaus Täubert versucht in seinem Buch über Emil Faktor, eine Biographie mit Zeitungsgeschichte und Kulturgeschichte zu verbinden. Ein ehrgeiziges Unterfangen auf 150 Seiten. Einige Fakten zu Faktor, dem Prager Juden: 1876 geboren, ab 1907 in Berlin, 1933 Rückkehr nach Prag. 1941 wird er in das Getto Lodz deportiert, dort ist er vermutlich am 10.April des darauffolgenden Jahres gestorben.

Intellektuelle Grunddispositionen werden aufgezeigt, die wesentlichsten Lebensstationen und -entwicklungen benannt. Der Biographierte bleibt einem fremd. Erst auf den letzten Seiten, als seine verzweifelten Bemühungen geschildert werden, aus Prag weiterzureisen nach England, wird Faktor als Mensch spürbar. Sonst allenfalls Außenansichten.

Auch Faktors Schaffen als Theaterkritiker bekommt Täubert nicht wirklich in den Griff. Zuweilen werden in flotter Aneinanderreihung Urteile wiedergegeben, seine Ämtchen aufgezählt, in einem Nebensatz der Stil ansatzweise charakterisiert. Aber welche Position bezog er inmitten des vielstimmigen theaterkritischen Chores dieser Jahre? Was waren seine Maßstäbe?

Es gibt doch Publikationen über Julius Bab, Arthur Eloesser, Alfred Kerr, Monty Jacobs, Siegfried Jacobsohn und Faktors Redaktionskollegen Herbert Ihering, die Täubert hätte heranziehen können. Es gibt doch Kritik-Anthologien von Hugo Fetting und Günther Rühle. So dürftig die Theatergeschichtsschreibung dieses Jahrhunderts ist, gerade Faktors Wirkungszeit ist noch mit am besten dokumentiert. Aber Täubert vermeidet erfolgreich jegliche Anschaulichkeit.

Etwas besser steht es um die Zeitungsgeschichte, die hier ja schließlich auch geschrieben werden soll. Der redaktionelle Alltag und die Schwierigkeiten des Blattes werden vorstellbar. Teilweise geht es sogar ins überpusselige Detail, wenn man erfährt, daß 1924 eine Schachspalte und eine Rennsportseite eingeführt werden. Das ist natürlich erwähnenswert, und so etwas merkt man sich auch. Wer aber die Leser waren und weswegen sich diese wohl für den Börsen- Courier und gegen etwa die Vossische Zeitung entschieden haben, welche Richtung das Blatt hatte, darüber kann man nur spekulieren. Auch diesbezüglich hätte Täubert nicht bei null anfangen müssen zu recherchieren.

Die Zielrichtung des Buches ist denkbar verschwommen. Es werden zwar etliche Informationen vermittelt, aber so knapp, so oberflächlich, ohne jede Verankerung. Auch der Stil ist viel zu verwissenschaftlicht: zahlreiche Zitatfetzen werden in die Sätze integriert, was zu Verschachtelungen oder auch ganz merkwürdigen Verkürzungen führt: „Sich dessen gewiß, daß die künstlerische Anziehungskraft Berlins mit ihren Nachkriegstendenzen, die einstanden für ,neue Zeit‘, Reinhardt ,alle Grundlagen und Möglichkeiten (bot)‘“. Hier muß man sich schon ganz fest vornehmen, bis zum Ende durchzuhalten.

Täuberts Vorhaben, Emil Faktors zu Unrecht fast vergessenes feuilletonistisches Oeuvre ins öffentliche Bewußtsein zurückzuholen, ist löblich und notwendig, dieses Buch jedoch ist bestenfalls ein Exposé. Petra Kohse

Klaus Täubert: „Emil Faktor – Ein Mann und (s)eine Zeitung“. Edition Hendrich, 174 Seiten