■ Grenzenlos kaputt
: Armut macht krank

Seuchen sind wieder auf dem Vormarsch. Tuberkuloseherde in Italien, Frankreich und Deutschland, wo man gerade die Zwangsschutzimpfung abgeschafft hatte, Malariamücken in Unteritalien, Griechenland und Spanien, Choleraherde rund ums Mittelmeer. Die Institute für Tropenmedizin melden auch wieder Fälle von Schlafkrankheit, und nicht einmal das Wiederauftreten des Pest schließen Wissenschaftler neuerdings aus – auch für Europa, das antiseptische.

Der menschliche und tierische Körper ist heute im Vergleich zur Jahrhundertwende um mehr als 60 Prozent allergieanfälliger, um mehr als 30 Prozent weniger immunreaktiv auf Eindringlinge. Er hat eine Stoffwechselveränderung hinter sich, wie ihn die Evolution der Natur früher nur in Jahrtausenden hervorbrachte. Er nimmt in der täglichen Mahlzeit Antibiotika und Herbizide, Insektizide und Cortisone zu sich, die die Bakterien nach und nach immunisieren, und schmiert seinen Körper gegen Mückenstiche mit tausenderlei oberflächenschädigenden Salben ein und wundert sich, wenn dann auch Viren und Bakterien schrankenlos Zutritt zu seinem Körper haben.

In Italien behaupten die Ärzte, Immigranten aus Drittweltländern hätten die Tuberkulose mitgebracht. Mag sein, doch der Grund dafür ist eine weitere Schrankenlosigkeit – die schrankenlose Ausbeutung ebendieser Immigranten. Sie bekommen gerade ein paar Lire pro Tag, haben keinerlei Versicherungsschutz und schon gar keine Krankheitsvorsorge, und so gehen sie eben nicht zum Arzt, auch wenn sie stundenlang Blut husten. Carlo D'Azeglio

Der Autor ist Facharzt für Epidemiologie und arbeitet in einem italienisch-indischen Forschungsprojekt zur Immunologie.