Europaweiter Kollaps

■ Das Gesundheitswesen versinkt

Wo immer die Delegationen der WHO in den letzten zehn Jahren hinreisten – Mustergültiges war nirgendwo zu beobachten, und wer in vielen Ländern mehrmals war, mußte stets einräumen, daß es beim letzten Mal mit dem Gesundheitswesen noch besser ausgesehen hatte. In Deutschland jammern die Krankenhausärzte bei jedem Besuch lauter über die Beschneidung der Verschreibungskompetenzen; in England hat es die rigorose Ausscheidungspolitik der Regierung Thatcher geschafft, daß die Hygiene in manchen Stadtvierteln vom sanitären Standpunkt her regelrecht an Zustände wie in Bombay oder Lagos erinnert. In Frankreich verursacht der Fimmel, in der Medizin weltweit Spitzenreiter sein zu wollen, eine elitäre Wissenschaft zu Lasten der Breitenversorgung, und in Italien ist das Gesundheitswesen am Ende zum Goldgräberterrain der Regierungsparteien verkommen. Gemeinsam ist dabei allen, daß parallel zum Abbau der materiellen Leistungen auch die Qualität der medizinischen Arbeit immer schlechter wird.

Das Gesundheitswesen war noch nie in der Vergangenheit ein demokratisches Paradies: Selbst nach der Französischen Revolution kam es zu keinerlei égalité auf dem Gebiet des Kurens und Heilens. Dennoch begleitet das Ende des 20. Jahrhunderts allenthalben ein Niedergang des Gesundheitswesens, wie er historisch allenfalls in schwer chaotischen Umbruchzeiten vorzufinden ist – etwa beim Zerfall des Römischen Reiches oder am Ende des Mittelalters. Janosz Kadinz

Der Autor, gebürtiger, 1956 nach Italien ausgewanderter Ungar, gehörte bis 1988 der WHO an.