The moon is the oldest TV

Lunatics vorm Schirm, Poeten im All: Heute vor 25 Jahren war Mondlandung  ■ Von Ulrike Filgers

The eagle has landed...“, kommentiert der Mann von der NASA. Wenig später macht Neil Armstrong, Sohn eines Rechnungsprüfers, vor laufenden Fernsehkameras den berühmten Schritt – für Amerika und die Menschheit. Alles live. „Snapshots from the moon. Live on Channel five.“

Der Mond war in die Küchen und Wohnzimmer gekommen, 33.366.000 Menschen rund um den Erdball genossen den Kitzel. Und die Konsequenzen? Nicht nur ein sprunghafter Anstieg der Fernsehgeräte in Westdeutschland auf 15 Millionen. Eine Stimme, sie gehört Paul Virilio, läßt uns ohne Ekstase wissen: „Durch die Eroberung des Mondes haben wir die Erde verloren. Wir sind gewissermaßen ans Ende der Welt gelangt. Wir haben die Linie des Horizontes verloren, die unsere Geschichte einteilte. Die Welt und der Mensch sind auf Distanz gerückt. Die Mondlandung ist in dieser Hinsicht wohl das beachtlichste Ereignis der Menschheitsgeschichte überhaupt.“

Space Race

„We choose to go to the moon! We choose to got to the moon in this decade and do the other things – not because they are easy ...“ Pathetische Worte aus dem sogenannten Kalten Krieg. Die Stimme gehört John F. Kennedy. Die Mondlandung wurde sogar vorverlegt, ursprünglich war sie für 1979 geplant.

Die Vorgeschichte: Im kühlen Morgengrauen des 12. April 1961 startete der sowjetische Kosmonaut Jurij Alexejewitsch Gagarin als erster Mensch ins All. Keine Zeitung, kein Radio gaben Kunde. Die Welt erfuhr von dem Staatsgeheimnis erst nach geglückter Rückkehr. Mit seinem 108 Minuten dauernden Flug, der ihn um den ganzen Planeten führte, erreichte der Sohn eines russischen Bauern, was die Amerikaner am meisten befürchteten: Ein Russe war der erste.

Der Raketenmann Wernher von Braun war damals der festen Überzeugung, Amerika stehe kurz vor dem Untergang. Die Chancen der Amerikaner, die Russen mit einer erdumkreisenden Raumstation zu schlagen, waren gleich Null. Zudem hatte man sich vom Sputnik-Schock noch nicht erholt. Seit dem 4. Oktober 1957 kreiste zum Entsetzen der gesamten westlichen Welt der erste russische Sputnik im All und sendete Signale aus.

Kennedys Rede an die Nation: „Wir sind dabei zu verlieren ... Wenn die Sowjets den Weltraum kontrollieren, dann werden sie auch die Erde kontrollieren ... Wir können es uns nicht leisten, in diesem entscheidenden Rennen die zweiten zu sein. Zur Sicherung von Freiheit und Frieden müssen wir die ersten sein.“

Da keine neuen Territorien mehr entdeckt und erobert werden konnten, die Welt aufgeteilt und kartographiert ist, wählt er ein außerirdisches Ziel. John Fitzgerald Kennedy verspricht den Aufbruch in unendliche und ewige Räume, in neue Zeiten. New worlds & New Frontiers.

Der Rest der Geschichte ist bekannt: Der Mond wurde zum Symbol der Entgrenzung, der Weltherrschaft und des Wettstreits zwischen den USA und den CCCP, Space Race genannt. Wer den Mond besaß, schien den gesamten Kosmos zu beherrschen. Anmerkung: Das Jahr 1967 als Jahr der Mondlandung hatte nicht nur technisch-praktische Gründe. Es jährte sich 67 auch zum fünfzigsten Mal die Oktoberrevolution, und man befürchtete, die Sowjets würden zu diesem Anlaß eine Mondlandung versuchen. Romantisch genug waren sie ja, die Russen.

Doch gibt es in der Flucht nach vorne, die der Aufbruch zum Mond war, noch eine tiefere Logik, als sie der Wettkampf der Systeme vorgibt? „Im Verlangen nach Bewegung, Reise und Fahrt liegt eher der Wunsch nach höherer Geschwindigkeit als der, die Ferne, das Fremde und andere Orte kennenzulernen ...“, meint Paul Virilio. „Furcht und Geschwindigkeit hängen zusammen: In der Tierwelt erwächst die Schnelligkeit aus dem Schrecken, der Konsequenz der Gefahr. In der Tat geht die Verringerung der Entfernung durch beschleunigte Bewegung auf den Selbsterhaltungstrieb zurück. Da die Geschwindigkeit nur das Produkt der Furcht ist, ist das jähe Aufspringen und Losstürmen eine Sache der Flucht und nicht des Angriffs. So ist die ständige Erhöhung der Geschwindigkeiten nur die Wachstumskurve der Angst ... nur die verfeinerte Form der Flucht.“

Um diese Figur zu erfüllen, war es notwendig, daß ein menschliches Wesen auf dem Mond landen und wohlbehalten zurückkehren mußte – für Kennedy war das definitiv. Nicht irgendein Hund oder ein Roboter – nur ein Mensch konnte die Utopie realisieren.

Moonlight Serenade

„Fly me to the moon“ – Der Traum ist älter als Kennedy und Chruschtschow. 1903 wagen ein paar Gelehrte die erste „Reise zum Mond“ – im Kino. Mittels einer Kanone und einer Rakete werden sie auf die „schwefelige Hyäne“ geschossen. Georges Méliès war es, der diese Reise möglich machte, indem er magisches Theater mit Filmtechnik verband – nach einem Buch von Jules Vernes.

War bislang der Mond allein die Projektionsfläche für Wünsche, Schwüre und Abenteuer, so ist es nun auch die Kinoleinwand. Fritz Langs Stummfilm „Die Frau im Mond“ von 1929 ist dafür ein spektakuläres Beispiel aus der Kinogeschichte. Der Start der Mondrakete wirkt so dokumentarisch und reicht so nah an die technische Realität, daß die Nazis die space opera verbieten. Peenemünde! Doch das ist eine andere Geschichte.

Langs Film ahnt technische und mediale Zusammenhänge voraus. Mond und Medien gehören bei ihm ganz selbstverständlich zusammen: Rasende Reporter beim Start, und nach der Landung filmt die erste Lunautin, das weizenblonde Fräulein Friede (Gerda Maurus), erst einmal den staubigen Planeten. Und Musik: „Moonlight ... die Nacht ist schön ... wunderschön.“

Und noch weiter zurück in der Zeit, weg von Präsidenten und Regisseuren, die beim Anblick des 384.700 km entfernten Planeten beschließen, ihn in Besitz zu nehmen. Doch derselbe Wunsch bereits Mitte des 17. Jahrhunderts: Galilei dringt 1610 mit dem Teleskop ins Weltall ein, um dessen Gesetzmäßigkeiten zu ergründen. Lineal und Zirkel ordnen und normen.

Seine Zeichnungen und Beobachtungen des Mondes mit dem Fernrohr widersprechen dem damals überlieferten Wissen, Galileo und sein Fernrohr werden angegriffen. Warum? Der Medientheoretiker Siegfried Zielinski erklärt das mit der Errichtung einer ganz neuen Perspektive, sozusagen einer utopischen Leinwand: „Galilei hat mit seiner ,Botschaft von den Sternen‘ den utopischen Raum aufgerissen und zu einem unendlich offenen Raum gemacht. Er hat das Universum als Projektionsfläche für Wünsche und Träume geöffnet.“

Nam June Paik sagt es anders: „The Moon is the oldest TV.“

Völlig losgelöst ...

Am 19. Juli 1969 um 14 Uhr ist es soweit. Drei Männer gehen lächelnd auf eine Rakete zu. Während der Countdown läuft, bricht der gesamte amerikanische Straßenverkehr zusammen. Eine Million Zuschauer an der Startrampe hören auf, sich mit Insektenöl einzureiben, hören auf zu essen. Unzählige Fernsehteams und Pocketkameras sind bereit. All lunatics.

Der Flug von Apollo 11 beginnt mit einer Feuersäule. Apollon – Gott des Lichtes und der Wissenschaft. Apollo 11. Ein schaukelndes Stück Raum, ein Ort ohne Ort, der in sich geschlossen und gleichzeitig dem Unendlichen des Alls ausgeliefert ist. Bald liegt die Erde weit unter den Astronauten zurück, und sie steigen, steigen. „Among the stars that have a different birth. Wandering campionless“, schrieb der Poet unter den dreien in sein Diary.

Und wieder die Stimme von Paul Virilio: „Die Astronauten in Apollo 11 hatten die Achse der Welt, der Erdanziehung verloren. Das Individuum, das sich im All befindet, bezieht sich nicht mehr auf ein Zentrum des Planeten, sondern hat sein Zentrum in sich selbst: Er ist kein Irdischer mehr, er ist ein Planeten-Mensch. Durch die Eroberung des Mondes hat sich der Mensch von der Schwerkraft emanzipiert, das ist etwas Unerhörtes, denn seit Millionen Jahren ist sie das, was uns ausmacht ... Die Apollo-Kapsel ist ein kosmisches Ei, das den Menschen in den Kosmos überträgt.“

Live on Channel Five

Bei laufenden TV-Kameras betritt der Amerikaner Neil Armstrong mit dem linken Fuß den Mond. Ein sogenanntes Medienereignis. „Als die Menschen auf der Erde die Mondlandung live im Fernsehen gesehen haben, hat sich ein drittes Element zwischen Fernrohr und Rakete geschoben: das Fernsehen, die Möglichkeit, in Echtzeit etwas zu sehen, das sich weit entfernt abspielt. Fernrohr, Fernsehen und

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Rakete bilden eine Triade und sind nicht mehr voneinander zu trennen. Es gibt hier eine Einheit der Zeit, der Handlung und des Sehens“ (Virilio). Um die errungene Überlegenheit der amerikanischen Technik und des politischen Systems weltweit zu demonstrieren, mußten sich Mond und TV in einer Live-Übertragung verbinden. „Live on channel five. Watching. Watching. Live.“

Fake oder Fakt? Die Mondlandung ein Science-Fiction-Film, gedreht in der Wüste von Nevada? Tatsächlich gab es Zweifel am Wahrheitsgehalt der Ereignisse. Und ein letztes Mal ist es Paul Virilio, der kommentiert: „Ein Ereignis wie die Mondlandung war einmalig, es katapultierte die Menschheit aus ihrer Beziehung zur Wirklichkeit heraus. Einen Mann auf dem Mond zu sehen, war undenkbar. Von da an bis zum Punkt, seinen Augen nicht mehr zu trauen, war es nur ein kleiner Schritt.“

Ein kleiner Schritt für die Augen, doch ein großer für die Menschheit? Die Mondlandung und die ihr zugrunde liegende Technik sind auch eine wichtige Station auf dem Weg der Fiktionalisierung der Gegenwart. Satelliten & TV-Bild sorgen für die Realisierung von Gleichzeitigkeit. Die Zeit hat aufgehört, der Raum ist dahingeschwunden.

Und immer wieder „Medien“ an entscheidenden Punkten. Nixon telefonierte mit den drei Astronauten – „alles wunderbar“. Am 24. Juli ging Apollo 11 im Pazifik nieder. Auch bei Méliès landen die Mondreisenden im Wasser – Zufall oder Notwendigkeit?

Blick vom Mond

Die Mondlandung ist heute historisch, doch ihre Geschichte geht weiter. Und vielleicht hat sie ganz anderes bewirkt, als im Space Race angelegt war. Siegfried Zielinski sieht entscheidende Paradigmenwechsel als Folge der Landung eines Menschen auf dem Mond: „Einmal folgt die symbolische Aufhebung eines Dualismus im Denken. Parallel dazu wurde die politische Dichotomie aufgelöst: der Kapitalismus und die Vereinigten Staaten, die UdSSR und der Sozialismus wurden plötzlich zum Anachronismus.“

Auch die Utopien können, nachdem der Traum von der Mondbegehung erfüllt ist, nicht mehr dieselben sein: „Die Erreichung des Mondes hat eine Verschiebung in der Kulturgeschichte des Menschen markiert. In dem Moment, in dem alle Distanzen im planetarischen System in Lichtgeschwindigkeit überbrückbar sind, wird der Stoff der Utopien, des Träumens, ein anderer. Es ist nicht mehr die Distanz, sondern es ist die Nähe. Die Erreichung des utopischen Ortes Mond wirft uns auf uns selbst zurück.“