Beim "SO 36" geht's ans Eingemachte

■ Die fünfzigste Ausgabe der Kreuzberger Kiezzeitung "SO 36" war zugleich die letzte: Finanzielles Aus / Auch den gleichnamigen Verein in der (ehemaligen) Szene drücken arge Geldnöte / Suche nach Spenden

Die Schlagzeile wirkt im nachhinein wie eine böse Vorahnung: „Einsparungen – Es geht ans Eingemachte“, hatte Rainer Sauter seine Hausmitteilung in der Februarausgabe der Kiezzeitung SO 36 überschrieben. Das im Frühjahr noch den gefürchteten Rotstift geißelnde Blatt des gleichnamigen Vereins, dessen Geschäftsführer Sauter ist, hat es nun zuerst erwischt: Die seit 1986 im Kiez verteilte Gratis-Zeitung, die zuletzt alle zwei Monate in einer Auflage von 4.000 Exemplaren erschien, wird nicht mehr gedruckt. Die fünfzigste Ausgabe war zugleich auch die letzte: ein trauriges Jubiläum.

Mit der Einstellung der achtseitigen Gazette, laut Sauter „das Aushängeschild“ des Vereins, zog der Vorstand die finanzpolitische Notbremse. Geldmangel bedroht den Fortbestand des vor 15 Jahren ins Leben gerufenen Projekts, das sich seither von der Vereinszentrale in der Wrangelstraße aus um die Verbesserung der Wohn- und Lebensverhältnisse im „Schmuddelbezirk“ kümmert – laut Satzung auf sozialer, kultureller, pädagogischer, räumlicher und wirtschaftlicher Ebene.

Und jetzt herrscht Ebbe in der Vereinskasse. Nicht einmal die rund 30.000 Mark, die die Zeitung pro Jahr an Kosten verursacht, könnten angesichts des Einsparungsdrucks aufgebracht werden, klagt Sauter. „Das sitzt nicht mehr drin.“ Raimund Thörnig, Blattmacher der ersten Stunde, sieht dennoch nicht allzu schwarz. Immer schon habe die Zeitung gekränkelt, oft sei von baldiger Einstellung gemunkelt worden, sagt der 43jährige. Vielleicht werde das Blatt, das immer schnell vergriffen gewesen sei, irgendwann ja doch einmal wieder erscheinen, tröstet er sich.

Doch für solcherlei Optimismus gibt es eigentlich keinen Anlaß. Die Gemeinwesenarbeit, die die Senatsverwaltung für Bau- und Wohnungswesen bisher mit 255.000 Mark bezuschußte, wird seit diesem Jahr mit zehn Prozent weniger entlohnt. Nicht gerade „Peanuts“ für einen fast schon finanziell chronisch klammen Verein. Zugleich wurde die Zuständigkeit im Zuge der 1995 anstehenden Verwaltungsreform zunächst einmal treuhänderisch auf den Bezirk übertragen, der gleich die Überweisung der ersten Rate verschlief. Um die Gehälter der drei festen Mitarbeiter weiter auszahlen zu können, mußte der Vorstand Kredite aufnehmen, ehe der Bezirk Ende April mit den Moneten herausrückte. Ausgerechnet in diesen ohnehin düsteren Zeiten fiel dem Finanzamt ein, erstmals Steuern für Einnahmen aus der Mieterberatung einzutreiben. 12.000 Mark verlangen die Finanzbeamten. Der Clou daran: „SO 36“ berät schon seit längerem nicht mehr von Miethaien und Immobilienspekulanten geplagte Bewohner oder Gewerbetreibende. Die knapp 20 Mieterberater von einst haben längst ihren eigenen Verein gegründet.

Die Geldsorgen drücken jetzt so sehr, daß sich der Verein selbst von einer seit den Gründertagen feststehenden Größe verabschiedete: dem Jahresmitgliedsbeitrag in Höhe von fünf Mark. Der Verein erhöhte kurzerhand die Gebühren um über tausend Prozent auf vergleichsweise stolze 52 Mark. Aber leider: auch das macht nicht gerade viel bei noch knapp 250 Mitgliedern.

Mittlerweile hat das Vorstandsmitglied Werner Orlowsky, von 1981 bis 1989 Kreuzberger Baustadtrat, seine Beziehungen spielen lassen und einen spendablen Unternehmer der Baubranche an Land ziehen können. Mit einer erklecklichen Summe will der Gönner dem schon angezählten Verein auf die Beine helfen. Spende hin, Spende her – die Zukunft des Vereins bleibt trotzdem ungewiß. Kopfschmerzen bereitet Orlowsky vor allem die Verwaltungsreform, hinter der er eine „verkappte Einsparungsorgie“ vermutet. Wenn erst der Bezirk über Zuwendungen an Projekte wie beispielsweise SO 36 entscheide, werde es brenzlig. Dann könnten „Feierabendpolitiker, die uns schon immer das Licht ausblasen wollten“, den Geldhahn einfach zudrehen, befürchtet der 66jährige.

Was nun die Kiezzeitung anlange, da könne ihnen nur der Mieterberatungsverein aus der Patsche helfen. Wenn dieser für die Steuerschuld aufkomme, sei schon ein gewaltiger Schritt getan. Dann könne, so Orlowsky, das Vereinsblatt vielleicht sogar noch in diesem Jahr mit ein oder zwei Notausgaben Auferstehung feiern. Frank Kempe