■ Ökolumne
: Corso statt Bertie Von Thomas Pampuch

Eine Idee geht um in Regenbogen-München. Sie heißt „Corso Leopold“ und stammt von Schwabing Extra, einer kleinen Stadtteilzeitung der Friedensbewegung: Von Samstagnachmittag bis Sonntagnacht soll Schwabings Prachtboulevard, die Leopoldstraße, für den Autoverkehr gesperrt werden. 33 Stunden soll sie nur Fußgängern und Radlfahren gehören, Spaziergängern und Straßencaféhockern, Federballspielern und Gauklern, Kinderwagen und Rollschuhfahrern. Kein Volksfest, sondern friedliches Treiben. Keine Hektik, keine Biertische, sondern Flanieren, Spielen und Reden. „Corso“ eben: vergnügliches Leben auf der Straße. Spaß ohne Abgas.

Mehrmals in den letzten Jahren ist die Leopoldstraße eher ungeplant zu einem Fußgängercorso geworden. Vor vier Jahren wurde Deutschland Weltmeister, und eine ganze Nacht lang feierten die Fans friedlich zwischen Münchner Freiheit und Siegestor. Vor eineinhalb Jahren nahmen bei der Münchner Lichterkette Hunderttausende die Straße in Besitz. Und in den letzten Wochen haben die Italiener auf der Leopoldstraße regelmäßig ihre Fußballbgeisterung ausgetobt – letzten Sonntag dann in Tateinheit mit den Brasilianern. Der Autoverkehr wurde umgeleitet, die Straße gehörte den Feiernden.

Müssen wir nun warten, bis Deutschland wieder einmal Weltmeister wird? Oder andere fröhlichere Nationen schon beim gewonnenen Viertelfinale auf der Straße tanzen wollen? Nein. Corso statt Bertie.

Tausende von Jahren waren städtische Straßen vor allem ein Ort der Kommunikation und der Geselligkeit. Auf der Straße wurden Geschäfte gemacht und wurde getratscht, wurde flaniert und gefeiert. Die Hauptstraße war (Heirats-)Markt, Forum, Theater und Festplatz. Fuhrwerke und (später) Kutschen änderten daran nur wenig. Solange die Geschwindigkeiten menschlich blieben, war eine friedliche Koexistenz zwischen Fahrzeugen und Fußgängern möglich.

Erst der motorisierte Massenverkehr änderte Funktion und Bild der Straßen radikal. Autos und Lastwagen, Straßenbahnen und Busse wurden zu den neuen Herren. Allein mit ihrer schieren Masse haben sie sich den größten Teil des öffentlichen Raumes unter ihre Gummikrallen gerissen. Seit bald hundert Jahren müssen die Fußgänger fast überall auf der Welt täglich um ihr Überleben kämpfen. In manchen Großstädten sind sie bereits zu einer bedrohten Spezies geworden. Auch die gelegentliche Reservatspolitik verkehrsberuhigter Zonen änderte nichts: Die Straßen unserer Städte werden beherrscht von Blechkisten. Egal ob sie knattern oder nur parken – was nichts mit Park zu tun hat. Wie vollständig der Sieg des motorisierten Verkehrs ist, zeigt die Tatsache, daß wir uns alle miteinander daran gewöhnt haben. Klar, die Idylle der alten Fußgängerstädte ist unrettbar verloren. Ach, Venedig. Aber muß Autoverkehr wirklich immer und andauernd sein? Müssen wir uns sieben Tage in der Woche und 365 Tage im Jahr dem Diktat unserer Verbrennungsmotoren unterwerfen? Ihrem Lärm, ihrem Gestank, ihren Geschwindigkeiten, ihren Ozonwerten, ihrer Verdrängungsmasse? Wir stehen nicht im Stau, wir sind der Stau. „Corso Leopold“ will die schöne klassische Funktion der Straße wenigstens am Wochenende wieder beleben. Die Autos haben zwei Tage frei. Die Menschen atmen durch. Alle rasten aus, statt auszurasten. Natürlich ist die Umsetzung nicht so einfach. Doch sind Verkehrsplaner nur für Autos da? Wäre es nicht eine edle Aufgabe für die Experten, auch mal den Fußgängern ein Stück Freiheit zu verschaffen? Jahrelang haben sie uns auf enge Bürgersteige gepfercht, über gefährliche Ampelübergänge getrieben, in Unterführungen und Tiefgeschosse versenkt und zum Wohle des Autos die Luft genommen. Warum nicht anders planen? Mit einem vernünftigen Konzept zum weiträumigen Umfahren des Corso, mit Parkmöglichkeiten vor der Stadt, mit bequemen und billigen Bus- und U-Bahn-Verbindungen in die Stadt.

„Corso Leopold“ will eine fröhliche Alternative zum Wochenend-Blechkorso in und um die Stadt. In jedem Auto steckt ein Fußgänger! In Schwabing setzt man auf einen Erfolg, der zum Nachmachen einlädt: Jedem Stadtteil sein Corso, jeder Stadt ihr Corso! Verkehr einmal anders. Why don't we do it on the Corso?