Kahlschlag in Stadt-Bibliotheken

■ Senat mischt sich in Bezirkspolitik ein: 1996 sollen 300 BibliothekarInnen entlassen werden / ÖTV protestiert

Die Landesregierung will ihre Finger aus der Bezirkspolitik nicht heraushalten. Obwohl der Senat für städtische Bibliotheken nicht zuständig ist, hat er den Abbau von mehreren hundert Stellen in Büchereien beschlossen. Die Senatskulturverwaltung „legt zum Bibliothekswesen einen entsprechenden Vorschlag vor, durch den bereits in 1996 300 Stellen eingespart werden“, heißt es in einem der taz vorliegenden Papier, auf das sich der Senat in seiner Klausurtagung zum Doppelhaushalt 1995/96 einstimmig geeinigt hat. Das Abgeordnetenhaus soll im November seine Zustimmung erteilen.

Welche 300 MitarbeiterInnen gehen sollen, ist unklar. „Es gibt noch keine konkreten Überlegung“, sagte der Sprecher der Kulturverwaltung, Rainer Klemke, auf Anfrage. In den kommenden Wochen werde die Verwaltung ein Treffen mit den Volksbildungsstadträten „moderieren“, die für die Bibliotheken in den 23 Bezirken zuständig sind. Klemke bestritt, daß es sich bei den Einsparungen um zusätzliche Stellen handelt. Die Große Koalition hatte zu Beginn der Legislaturperiode beschlossen, zwischen 1992 und 1997 in der Verwaltung 25.000 Stellen – jährlich 3.500 – einzusparen.

In Berlin gibt es 260 Bibliotheken mit 1.700 BeamtInnen und AngestelltInnen. Da im vergangenen Jahr bereits 120.000 Bürger schriftlich gegen einen Stellenabbau im Bibliothekswesen protestiert haben, „sind wir von dem Senatsbeschluß alles andere als begeistert“, sagte der Sprecher der Kulturverwaltung. Doch seine Verwaltung könne nur wenig zum Stellenabbau beitragen, da sie selbst nur 200 Mitarbeiter beschäftige. Kultursenator Ulrich Roloff- Momin (SPD) hofft zwar, mit Hilfe des Bibliothekenentwicklungsplanes, der gemeinsam mit den Bezirken erarbeitet worden ist, die schlimmsten Folgen zu verhindern. So könne etwa durch die Einführung moderner Computertechnik mit weniger Personal dasselbe Angebot wie heute aufrechterhalten werden, sagte Klemke. Doch Schließungen sowohl im Ostteil wie in Stadtrandbezirken wollte der Sprecher nicht ausschließen. Größere Büchereien in den Innenstadtbezirken könnten dadurch besser organisiert werden, am Stadtrand müßten Fachbüchereien möglicherweise durch einen regelmäßig verkehrenden Bücherbus ersetzt werden.

Kommunalpolitiker und die Gewerkschaft ÖTV zeigten sich gegenüber der taz verwundert. „Mich überrascht das Vorgehen des Senats sehr“, monierte der Charlottenburger Volksbildungsstadtrat Andreas Stratzkowski (CDU). Denn 1995 dürfen die Bezirke erstmals selbständig über die Verwendung eines Teils ihrer Etats entscheiden. Und in diesen vom Senat zugewiesenen sogenannten Globalsummen wurde bereits das Geld für die von den Bezirken zu streichenden Stellen gekürzt. Welche Stellen die Bezirksämter einsparen, sollten sie selbst entscheiden.

Warum sich nun der Senat plötzlich in die kommunale Personalpolitik einmischt, verstand auch die ÖTV nicht. „Das ist ein Unding“, sagte Ingrid Ebersbach, Vorsitzende der Fachkommission Bibliotheken. Es mache keinen Sinn, Bezirken Globalsummen zuzuweisen, wenn diese dann doch nicht die Schwerpunkte in der Personalpolitik setzen dürften. Dirk Wildt