Chips für Kranke sparen viele Fuder Holz

■ Jetzt geht die Post ab: Ab 1.Oktober gilt das elektronische Krankenkärtchen auch im Norden

„Eine neue Ära bricht an“ – so feiern nun auch die Krankenkassen im Norden den Niedergang des hundertjährigen, papiernen Krankenscheins und läuten das Chipzeitalter in der Krankenversorgung ein. Das Gesundheitsstrukturgesetz von 1993 sieht es so vor: Chips für alle Bundesländer, im Dezember sind die letzten dran. Für Hamburg, Bremen, Niedersachsen und Schleswig-Holstein heißt der Stichtag 1.Oktober – spätestens dann halten alle Kassenmitglieder, ob eigenständig oder als Familienanhang versichert, vom Säugling bis zum Greis, statt des gewohnten Krankenscheins die computerlesbare Krankenversicherungskarte in der Hand. Unsäglich aber kurz „KVK“ genannt.

Das ist unwiderruflich: Ab dem Herbstquartal wird auf Schein niemand mehr behandelt, nur die Chip-Karte gilt noch, je nach Kasse vier bis sechs Jahre lang. Seit Anfang Juli wird das Kärtchen verschickt, bis zum 1. Oktober bleibt es aber wertlos: In den Arztpraxen müssen noch Lesegeräte und Drucker angeschafft werden, ohne die die neue Technologie nicht funktioniert. Die soll den Kassen vor allem Verwaltungskosten sparen. Nicht zuletzt deshalb zahlen die Kassen für die Kosten der maschinellen Erstausstattung der Ärzte; maximal 750 Mark pro Praxis.

Trotz gigantischer Umstellungskosten – 500 Millionen Mark an Beitragsgeldern hat die Umstellung bereits verschlungen – sind die Kassen optimistisch: „38 Prozent unserer Abrechnungskosten lassen sich durch die Elektronik einsparen“, sagt Reinhard Bußmann, Chip-Kärtchenexperte bei der Handelskrankenkasse in Bremen. Auch der Kollege von der Kaufmännischen Krankenkasse Halle (KKH) ist zuversichtlich: „Per elektronischer Datenübertragung, direkt vom Arztcomputer zur Krankenkasse, kann bald jede Menge Holz gespart werden“, schwärmt Günter Jeske – und meint damit bare Münze ebenso, wie die gemeine Kiefer: Tonnen an Formularen könne man sparen, und Zeit und Wege, so der Verfechter der elektronischen Abrechnung. Kostenvoranschläge für Kronen oder Zahnprothesen beispielsweise, die sonst tagelang zwischen Kasse und Arzt hin und her wandern, würden blitzschnell, per Knopfdruck, auf dem Bildschirm am jeweils anderen Ende erscheinen – in ein paar Jahren jedenfalls. Kurzfristig ändert sich für Patientinnen sonst wenig: Die lästige Krankenschein-Schreiberei für jeden Arzt und jedes Quartal fällt flach. Ansonsten heißt der Schein Chipkarte.

Vom ersten Eindruck soll sich niemand blenden lassen, warnen dagegen die KritikerInnen des neuen Systems. „Die Chipkarte ist nur die Spitze des Datenerfassungs-Eisbergs“, sagt die Bundesarbeitsgemeinschaft der PatientInnenstellen. Mit ihr befürchten die Gesundheitsläden „die Totalerfassung von der Wiege bis zur Bahre“ – und möglicherweise die Ausgrenzung besonderer Krankengruppen. Die Gestaltung der jetzigen Chipkarte gibt ihrem Argwohn Nahrung: Die Speicherkapazität des Chips sei viel zu groß für die paar gesetzlich erlaubten Daten, die darauf enthalten sind: Name und Anschrift der Versicherten, Geburtsdatum, Krankenversicherungsnummer, Versichertenstatus und Gültigkeitsdauer. Wozu also der Aufwand, wo eine Magnetkarte doch billiger wäre?

Zwar schätzt der Bremer Krankenversicherer Bußmann:„Die sind einfach haltbarer“. Seine Karten haben den Kratz- und Magnetentest nämlich bestanden, „und von 8.000 waren auch nur zwei fehlerhaft in der Elektronik“. Aber die KritikerInnen sehen das anders: „Das Haltbarkeitsdatum gesetzlicher Regelungen ist nach der Änderung des Gentechnik-Gesetzes bestenfalls als beschränkt zu betrachten“, wer weiß was noch kommt. Sie befürchten, am Ende der Reformen steht die gläserne Versicherte – statt der gläsernen Krankenkasse.

Auch Umweltverbände mahnen – wegen des Kartenmaterials. Hier steht Polycarbonat, von Greenpeace für unbedenklich befunden, und deshalb von der Barmer Ersatzkasse bundesweit gewählt, gegen das PVC. Das setzt bei der Verbrennung Dioxin frei, „aber wenigstens gibt es ein bewährtes Recyclingverfahren“, so der HHK-Mann Bußmann. HHK und AOK nehmen PVC. „Das gibt später Dachrinnen.“ Eva Rhode