Partei ergreifen für Minderheiten

Während in den 60ern ausländische Arbeitnehmer gezielt von Gewerkschaften angesprochen wurden, bleibt dies heute aus / DGB-Ausländerpolitik ist in der Gesellschaft schwer durchsetzbar  ■ Von Leo Monz

Fast vier Jahrzehnte ist es her, daß beim DGB-Bundesvorstand ein italienischer Sekretär eingestellt wurde: ein Deutsch und Italienisch sprechender Kollege aus Südtirol. Empfohlen wurde der Kollege von der damals noch einzigen italienischen Brudergewerkschaft im Internationalen Bund Freier Gewerkschaften (CISL). Die Einstellung war eine gewerkschaftliche Antwort auf den Anwerbevertrag zwischen Deutschland und Italien und ein deutliches Signal: Die Gewerkschaften in der Bundesrepublik Deutschland fühlen sich verantwortlich für die Arbeits- und Lebensbedingungen der Angeworbenen und kooperieren mit den Gewerkschaften der Heimatländer.

Doch nicht nur aus Selbstlosigkeit wollten der DGB und seine Gewerkschaften angeworbene ArbeitnehmerInnen gewinnen. Es sollte eine Spaltung in deutsche und ausländische Belegschaften und damit eine Spaltung der Interessenvertretung verhindert werden. Ausländische ArbeitnehmerInnen sollten über ihre Rechte ausreichend informiert sein, um sich vor Ausbeutung zu schützen und um gleichzeitig eine Verdrängungskonkurrenz zu verhindern. Anders als heute wurden die Arbeitsmigranten gezielt angesprochen. Mit 40 bis 50 Prozent Gewerkschaftsmitgliedern sind sie heute noch überdurchschnittlich organisiert. Während dieser Phase konnte auch die Zwangsrotation der Angeworbenen verhindert werden.

In den 90er Jahren werden Zuwanderer nicht gezielt angesprochen. Ihr Beschäftigungs- und Aufenthaltsstatus führt zu einer Distanz, die weder im Interesse der Beschäftigten noch der Gewerkschaften liegen kann. Gerade Asylbewerber und Flüchtlinge sind ebenso wie Saisonarbeitnehmer aus Osteuropa zum Teil katastrophalen Beschäftigungsbedingungen ausgesetzt – auch in genehmigten Beschäftigungsverhältnissen. Es fehlt eine gewerkschaftliche Strategie zur Einbeziehung von kurzfristig Beschäftigten aus dem Ausland. Das gilt auch für ArbeitnehmerInnen aus den EU-Staaten, die im Rahmen der Freizügigkeit von Dienstleistungen in Deutschland Beschäftigung finden.

Die Ursachen für Einwanderung in die Bundesrepublik sind heute vielfältiger als zu Beginn der Anwerbung. Geblieben ist aber die Verantwortung, gleiche Rechte für alle in der Arbeitswelt und bei der sozialen Sicherung durchzusetzen. Und von Beginn an haben Gewerkschaften auch Verantwortung über den engeren Bereich der Arbeitswelt hinaus übernommen. So war es für den DGB besonders wichtig, daß die Arbeitgeber für die Unterbringung der angeworbenen ArbeitnehmerInnen Verantwortung tragen. Gerade die Lage der SaisonarbeitnehmerInnen macht heute deutlich, wie notwendig dies war und ist. Die Verfestigung des Aufenthalts und Familiennachzug rückten die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen für dieselben vor fast 40 Jahren in den Blickwinkel gewerkschaftlicher Forderungen. In den 60er Jahren sollte mit einem neuen Ausländergesetz die Aufenthaltssicherheit verbessert und der Charakter der Polizeiverordnung überwunden werden. Es wurde ein breites Bündel an Maßnahmen zur Verbesserung der Situation von ausländischen Kindern in Schule und beruflicher Ausbildung entwickelt. Forderungen, die zum Teil bis heute nicht erfüllt sind.

Einen großen Durchbruch erzielte der DGB jedoch mit der Verabschiedung des Betriebsverfassungsgesetzes 1972 und des Bundespersonalvertretungsgesetzes 1974. Diese Verfassung der Arbeitswelt konkretisiert das Antidiskriminierungsgebot des Grundgesetzes und macht es den im Betrieb Handelnden zur Auflage. Als stumpfe Waffe erweist sich das Antidiskriminierungsgebot allerdings, wenn es um Ausbildungsplätze und Einstellungen geht. Die Mitwirkungsmöglichkeiten von Betriebs- und Personalräten sind begrenzt.

Mit dem aktiven und passiven Wahlrecht zu Betriebs- und Personalräten wurde die rechtliche Gleichstellung der ausländischen ArbeitnehmerInnen durchgesetzt. Mehr als zwei Jahrzehnte Praxis in der betrieblichen Demokratie zeigen: Ausländische KollegInnen sind bereit, Verantwortung zu übernehmen, gemeinsam mit Deutschen Arbeitnehmerinteressen zu vertreten. Gleichberechtigte Zusammenarbeit hat dazu beigetragen, Konflikte zu benennen, nach gemeinsamen Lösungen zu suchen. Obwohl die Zahl der sozialversicherungspflichtig beschäftigten Ausländer von 1972 bis 1990 um fast ein Drittel zurückging, hat sich die Zahl der ausländischen KollegInnen in den Betriebs- und Personalräten fast verdreifacht. Und heute sind es Angehörige der sogenannten zweiten Generation, die Verantwortung übernehmen – als Vorstandsmitglieder, Geschäftsführer und Verwaltungskräfte kümmern sie sich um Angestellte, um Rechtsschutz.

Doch die Forderungen des DGB gehen seit langem über Innerbetriebliches hinaus: Migranten sind ein fester Bestandteil der Gesellschaft, betonte der DGB in den 80er Jahren. Statt eines Rückkehrhilfegesetzes forderte er das kommunale Wahlrecht, erleichterte Einbürgerung, beispielsweise durch doppelte Staatsbürgerschaft, ein Niederlassungsrecht, ein Antidiskriminierungsgesetz. Innerhalb der EU sollen jetzt Drittstaatsangehörige in den Prozeß der Freizügigkeit einbezogen werden.

Dieser Forderungskatalog zeigt auch, daß die gewerkschaftliche Ausländerpolitik schon in den siebziger, aber verstärkt in den achtziger und neunziger Jahren in der Gesellschaft nicht durchsetzbar war. So wie es in den Betrieben oft nicht das gewünschte Miteinander, sondern ein „geregeltes Nebeneinander“ von Deutschen und Ausländern gibt, werden die ausländer- und migrationspolitischen Forderungen der Gewerkschaften oft als Fachpolitik ohne Auswirkungen auf andere gewerkschaftliche Politikfelder angesehen. Gewerkschaften sind mit über zehn Millionen Mitgliedern auch ein Spiegel gesellschaftlicher Realität.

Migration wird ihre Bedeutung nicht verlieren. Gewerkschaften müssen sich auch zukünftig an der Gestaltung von Migrationspolitik beteiligen. Menschen in Not müssen Schutz vor Verfolgung in Deutschland und der Europäischen Union finden. Familiennachzug ist ein nicht einschränkbares Grundrecht auch für Nichtdeutsche. Einwanderung aus wirtschaftlichen Gründen muß sich aber an den sozialen Voraussetzungen wie zum Beispiel Beschäftigungsmöglichkeiten orientieren. Denn ein Arbeitsplatz ist die wichtigste Voraussetzung für die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Damit Migranten nicht Opfer von Schleppern und Ausbeutern werden, damit sie tatsächlich gleichberechtigt arbeiten und leben können, muß Einwanderung geregelt werden. Mit einer Abschottungspolitik werden wir dieses Ziel nicht erreichen.

Die Arbeitswelt ist keine multikulturelle Insel der Glückseligkeit. Das Motto „Vor dem Chef sind alle gleich“, Kollegialität und Solidarität reichen oft nicht aus, Konflikte zwischen Menschen unterschiedlicher Nationalität sachlich zu überwinden. Anmache am Arbeitsplatz, Wandschmierereien, fremdenfeindliche Witze werden nicht mit dem Ablegen an der Garderobe abgegeben. Auch der Gewerkschaftsausweis schützt nicht vor Vorurteilen, fremdenfeindlichen oder gar rassistischen Einstellungen. Aufgabe der Betriebs- und Personalräte ist es dann, Partei zu ergreifen für Minderheiten. Gemeinsam mit den Geschäftsleitungen müssen sie vor verbalen oder gar körperlichen Übergriffen geschützt werden. Einzelgespräche und Betriebsversammlungen können dazu genutzt werden, im Zweifel sind auch arbeitsrechtliche Maßnahmen bis hin zur Entlassung notwendig. Bedeutsam ist aber, langfristig die Einstellungen zu verändern. Mit der Bildungskampagne „Einwanderungsland Deutschland“ sowie Antirassismustraining wollte der DGB im Bildungsbereich einen Beitrag leisten. Deshalb wird der DGB sich auch daran messen lassen, ob er Partei ergreift für Minderheiten wie zum Beispiel mit der Kumpelaktion, der Kampagne „Haß macht dumm“ oder der Unterschriftenaktion „Nein zu Fremdenfeindlichkeit und Rassismus.“

Der Autor ist Vorstandsmitglied der IG Metall in der Abteilung „Ausländische Arbeitnehmer“.