Bremensien (3): Kohlköniginnen
: Laßt Frauen kohlfahrten

■ Lange Zeit war die Winterlandpartie den Männern vorbehalten

Bis in die schrägen Abseiten bremischer Geschichte tauchten sechs StudentInnen der Universität – und förderten einige Kuriositäten zutage. In einer kurzen, sechsteiligen Serie „Bremensien“ stellen die KulturwissenschaftlerInnen den LeserInnen der taz ihre Fundstücke vor.

Jeder muß zugeben, wenn er sich an seine letzten Kohlfahrten erinnert, daß die Träger der Freßorden – wunderschön bemalte Kiefer- oder Schulterknochen vom Schwein – durchweg Männer sind, oder diese höchstens als König mit Gemahlin auftreten. Und dies liegt nicht etwa daran, daß Männer grundsätzlich mehr Kohl zu sich nehmen – sondern an der vorher mit dem noch amtierenden Kohlkönig getroffenen Absprache. Außerdem zeigt eines der größten, öffentlichen Kohlessen noch heute, daß Frauen hier unerwünscht waren und sind: Das Schaffermahl. Seit 1545 treffen sich jeden zweiten Freitag im Februar Seefahrer und Kaufleute zu einem gemeinsamen Schmaus, ohne Frauen.

Aber wie kam es zu den heutigen Kohlpartien, ab wann durften Frauen bei den Winter-Landausflügen dabeisein oder sogar als reine Sologruppen Richtung Kohlgasthof wandern?

Adam Storck berichtete 1822 von den winterlichen Familienausflügen auf das Land und hob besonders die Kohlfelder und das Kohlessen hervor. Man betrachtet heute diese Landpartien, die nur den Familien der Ober- und Mittelschicht vorbehalten waren, als Vorläufer der Kohl- und Pinkelfahrten. Diese Freizeit-Aktivitäten spielten sich ausschließlich im Kreise der Familie ab, was durch eine strenge standesgemäße Abgrenzung und den Sittenkodex der reformierten Kirche stark forciert wurde. Der Bremer galt als verschlossen, kühl und häuslich; so wundert es nicht, daß es damals noch keine Kohlfahrten gab, wie wir sie heute kennen.

Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts verbesserten sich die Ausfallstraßen, und die Ausflüge mit Braunkohlessen in Landgasthöfen mehrten sich. Allerdings wurden diese fast nur von exklusiven Herrenclubs veranstaltet. Die Damen hatten im Winter ihre Tee-Abende, Privatkonzerte und ab und an einen Wohltätigkeitsball.

Durch die allmählichen wirtschaftlichen Verbesserungen nahmen dann auch mehr Leute aus der Mittel- und Unterschicht an Kohlfahrten teil. Dieses, immer noch den Männern vorbehaltene Vergnügen, bildete einen der Höhepunkte im Vereinsleben. Das Kohl-Monopol der Herren jedoch begann erst nach dem ersten Weltkrieg zu bröckeln. Frauen gründeten in Sportvereinen eigene Damenriegen und drängten, in den 20er und 30er Jahren, in das Berufsleben. Und begannen, auch bei Kohlfahrten mitzumischen, was die Männer zwar damals noch nicht respektierten, aber auch nicht aufhalten konnten.

Eine Folge davon war, daß das Tanzen nach dem schweren Kohl- und Pinkelessen immer beliebter wurde, und auch die Männer sich langsam davon überzeugen ließen, daß es auch mit Frauen ganz lustig sein kann. Nach dem zweiten Weltkrieg setzten sich die gemischten Kohlfahrtgruppen dann noch stärker durch, und heute sind die Frauen gar nicht mehr wegzudenken. Man müßte sie nur auch mal zur Kohlkönigin mit Freßorden wählen! Sylvia Dierke