Versöhnung nach mehr als 70 Jahren

■ Besuch des rumänischen Außenministers in der ungarischen Hauptstadt / Regierungswechsel ermöglicht Annäherung / Problem Minderheitenrechte

Budapest (taz) – Entspannung in Budapest, Anspannung in Bukarest – von diesen Stimmungen war am Montag der Besuch des rumänischen Außenministers Teodor Meleșcanu in der ungarischen Hauptstadt begleitet – seit 1989 der erste Besuch eines rumänischen Ministers in Budapest. Auf der Tagesordnung stand nicht weniger als die Einleitung einer historischen Aussöhnung der beiden Länder, die seit siebeneinhalb Jahrzehnten in verhaßter Nachbarschaft miteinander leben.

Die Chancen für eine solche Aussöhnung scheinen so günstig wie nie zuvor zu sein: Die seit Mitte Juni amtierende ungarische Sozialisten-Regierung ist bereit, eine von Rumänien geforderte Erklärung über die Unverletzlichkeit der Grenzen abzugeben. Den aufgrund dieser Erklärung seit Jahren umstrittenen Grundlagenvertrag möchten beide Seiten nun Mitte nächsten Jahres unterschreiben.

In Bukarest verdammte die Presse unterdessen wie gewohnt den „ungarischen Revisionismus“, und nationalistische Politiker beschuldigten den „Demokratischen Verband der Ungarn in Rumänien“ (RMDSZ) des Separatismus. Im Hintergrund solcher Feindseligkeiten steht die Aufteilung Ungarns nach dem Ersten Weltkrieg.

Durch den Friedensvertrag von Trianon im Jahre 1920 verlor das Land zwei Drittel seines damaligen Territoriums, darunter auch Siebenbürgen an Rumänien; über Nacht fanden sich Millionen von Ungarn als Staatsbürger anderer Länder wieder. Die zeitweilige ungarische Besetzung Nordsiebenbürgens und der Südslowakei im Zweiten Weltkrieg hat seither in der Region und ganz besonders in Rumänien den Eindruck hinterlassen, die Ungarn würden nicht eher ruhen, als bis sie ihre einstigen Territorien zurückerobert hätten.

In den letzten vier Jahren hat die wenig konstruktive regionale Außenpolitik der im Mai abgewählten national-konservativen MDF-Regierung solche Gefühle nur verstärkt. Weder gegenüber der Slowakei noch gegenüber Rumänien war sie bereit, einer Grenzrevision eine explizite Absage zu erteilen: Zuvor hätten etwa die zweieinhalb Millionen Ungarn in Rumänien in den Genuß von mehr Minderheitenrechte kommen sollen.

Bisher haben die Ungarn nur wenige Möglichkeiten zur muttersprachlichen Bildung. In den ungarisch bewohnten Gebieten Rumäniens werden ihnen Anstellungen in lokalen Behörden meistens verwehrt. Die lokale Selbstverwaltung, die sie fordern, bedeutet in den Augen des rumänischen Staates nichts anderes als Separatismus. Unter anderem wegen dieser Haltung ermahnte der Europarat, das höchste staatliche europäische Menschenrechtsgremium, Rumänien kürzlich zum wiederholten Male, die Minderheitenrechte zu verbessern.

Nicht nur in der Frage der Grenzgarantie, auch in der Frage der Minderheitenrechte scheint die neue ungarische Regierung nun jedoch einzulenken: Anders als ihre Vorgängerin fordert sie keine Vorabgarantien, sondern nur ein gesondertes Abkommen über Minderheitenrechte, das nach dem Abschluß des Grundlagenvertrages unterschrieben werden soll. Der Sinneswandel der neuen Regierung beruht vor allem darauf, daß Ungarn seine Integrationschancen in die Europäische Union und die Nato durch die bisherige nationale Rhetorik deutlich verringert hat: Das Land kam in den Ruf eines regionalen Destabilisierungsfaktors.

Allerdings könnte gerade die moderate Linie zu einer Aussöhnung führen, die zwar auf dem Papier steht, in der Praxis aber ihr Gegenteil bewirkt. Die siebenbürgischen Ungarn fühlen sich schon jetzt vom Mutterland im Stich gelassen – eine Stimmung, die radikalen Politikern im RMDSZ bereits einen deutlichen Auftrieb verschafft hat. Das wiederum ruft rumänische Nationalisten auf den Plan und könnte so für neue innenpolitische Konflikte sorgen.

Andererseits scheinen Rumäniens herrschende Neokommunisten um Staatspräsident Ion Iliescu trotz der geänderten ungarischen Haltung nicht bereit, der ungarischen Minderheit mehr Rechte zu gewähren. Denn die „ungarische Karte“ – der Vorwurf, die dortigen Ungarn seien eine Fünfte Kolonne Budapests – spielen sie immer wieder gerne aus, um von innenpolitischen Problemen abzulenken.

Unter dem Druck dieses gängigen rumänischen Politikmusters stand in Budapest auch der als liberal geltende rumänische Außenminister: Er verstehe nicht, um welche Minderheitenrechte es ginge, da die Ungarn doch alle Rechte hätten, sagte Meleșcanu pflichtgemäß. Dann fügte der Minister jedoch hinzu, möglicherweise sei das Thema in Zukunft verhandelbar. Und so waren er und sein ungarischer Amtskollege László Kovács denn auch optimistisch – der Dialog auf höchster diplomatischer Ebene habe endlich begonnen.

Die ultranationalistische „Partei der rumänischen nationalen Einheit“ (PUNR), die seit zwei Wochen mit vier Ministern in der rumänischen Regierung vertreten ist, bemühte sich ihrerseits sogleich, den Dialog unmöglich zu machen: PUNR-Chef Gheorghe Funar, ein berüchtigter Ungarnhasser, forderte die Isolierung und das Verbot des Verbandes der Ungarn in Rumänien, weil er „anti-rumänische Ziele“ verfolge. Keno Verseck