Saboteure, Kollaborateure, Bande

Fast zwei Monate nach dem Krieg im Jemen hat die siegreiche Regierung der nördlichen Hauptstadt Sanaa die Opposition im Griff / Feindbild „sozialistische Vaterlandsverräter“ des Südens  ■ Aus Sanaa Udo Kassler

Fragt man in Sanaa, der Hauptstadt im Norden des Jemen, jemanden danach, was denn nun aus dem südlichen Aden geworden sei, nachdem es von Anfang Mai an zwei Monate lang unter Beschuß und Belagerung der Nordarmee gelegen hatte, bekommt man etwa folgendes zu hören: „In Aden ist soweit alles in Ordnung. Jetzt, wo die Separatisten weg sind, ist alles besser geworden.“ Selbst Schadia, eine Archäologin, die der Regierung früher immer kritisch gegenübergestanden hatte, sagt selbstsicher: „Die JSP – Jemenitische Sozialistische Partei des Südens – hatte vorher noch eine gewisse Unterstützung, auch hier im Norden, aber jetzt hat sie ihre Glaubwürdigkeit verloren. Aber Gott sei Dank haben wir gegen die Separatisten gesiegt!“

Und die Zerstörungen in Aden, die Toten, die Tatsache, daß bei der Belagerung Adens fast Tausende verdurstet wären? frage ich. „So ist eben der Krieg“, lautet die Antwort. „Schließlich hat die JSP die Einheit aufgekündigt.“ Mit diesem Argument läßt sich im Jemen derzeit fast alles rechtfertigen. Niemand scheint sich zu erinnern, daß die erneute Unabhängigkeit des ehemals sozialistischen Südens – nach vier Jahren Vereinigung mit dem Norden – erst während des Krieges erklärt wurde und daß der Norden jeden vom Süden angebotenen Waffenstillstand mißachtet hat.

Bis Mai hatten viele JemenitInnen ihrer Regierung statt Vertrauen allenfalls Spott entgegengebracht. Daß es Krieg geben könnte, war die größte Sorge der Menschen gewesen. Erst der Krieg selbst, und besonders der „Sieg“, scheint im Norden Kriegsbegeisterung ausgelöst zu haben. Jetzt stehen wieder alle zu „ihrer“ Führung – das Feindbild ist gefunden: sozialistische Vaterlandsverräter. Der Krieg im Jemen geht in Worten weiter. Die Sprache der Sieger ist unversöhnlich: „Die Separatisten in der JSP“, „der Verräter Ali al-Bid“ (der geflohene Chef der JSP), „Saboteure“, „Kollaborateure“, „Rebellen“, „Bande“ sind offizielle Nachrichtenvokabeln im Nachkriegsjemen geworden. Mit Wörtern wie „Volk“, „Nation“, „Einheit“, „Verfassungslegitimität“ wird Politik gemacht. Landesweit werden Tausende Portraits des Präsidenten aufgehängt – Zeichen für den „Sieg der Einheit“.

Die traditionsreiche Adener Tageszeitung 14. Oktober gibt es noch am Kiosk, allerdings ist sie jetzt quasi zur Zweitausgabe der Sanaaer Thaura geworden. Die Hauptmeldung an einem Tag im August: Präsident Salih hat ein Militärkrankenhaus besucht und dabei eine hundertste Ansprache gegen „die Separatisten in der Sozialistischen Partei“ gehalten. Im Kulturteil spricht Basiddiq, ein betagter Adener Schriftsteller, eine Huldigung an Salih aus und dankt für den „Sieg der Einheit“. Diesem offiziellen Zwangskonsens, der sich im Jemen plötzlich und bedrohlich festgesetzt hat, schließen sich immer mehr Intellektuelle, die Angst um ihren Job haben, öffentlich an. Auf der letzten Seite erklärt ein Kommentator, Parteien hätten nur dann ein Existenzrecht, wenn sie „das Volk vertreten“, „patriotisch“ seien und nicht nach Macht strebten.

Bisher wurde zwar keine Partei verboten, auch nicht die JSP. Offenbar wollen die Regierenden in Sanaa nun die politische Macht auf Dauer ausschließlich zwischen Salihs „Volkskongreß“ und der islamischen „Ishal“-Partei aufteilen. Und der Teil der JSP, der im Jemen noch übrig ist, ist viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt, um noch eine politische Kraft darstellen zu können. Politbüromitglied Fadl Abdallah hat selbst angekündigt, die Partei werde vorerst in die Opposition gehen. Am 2. August verurteilte ein JSP-Kongreß die Abspaltung. Dabei gab man zwar immerhin zu bedenken, der Krieg habe die Krise im Jemen nicht gelöst, aber man beeilte sich, ein Bekenntnis zur „Einheit“ abzulegen. Al-Bid, der nach der zweiten Kriegswoche die Unabhängigkeit des Südens erklärt hatte, wurde als Parteichef abgesetzt.

Die in englisch verfaßte Yemen Times ist fast die einzige „oppositionelle“ Zeitung, die noch erscheint – mit geschwärzten Textstellen. Und obwohl ihr Herausgeber den Abtritt der JSP von der politischen Bühne fordert und dem Präsidenten zu dem Sieg, den er „dem Volk verliehen“ hat, gratuliert, sind die Telefonleitungen der Zeitung seit Mitte Juli totgelegt. Sie ist eben noch nicht regierungsfreundlich genug.

Im Sammeltaxi nach Taizz, der Stadt im „Süden des Nordjemen“, sitzt neben mir ein Soldat, der Aden miterobert hat und berichtet, die Sozialisten hätten die Stadt in einen Sündenpfuhl verwandelt. In Dreiviertel aller Häuser Adens habe es Alkohol gegeben! Ein anderer Mitreisender meint, die JSP müsse ihre areligiöse VergangenKriegsdienstverweigerer

heit öffentlich bereuen, bevor sie wieder eine politische Rolle spielen könne. Unter den Fahrgästen herrscht Konsens darüber, daß der Krieg gegen den Süden berechtigt war.

Doch in Taizz werde ich überrascht: Ein Freund von mir, der vor zwei Jahren seinen Militärdienst geleistet hat, war – wie viele andere in Taizz – zu Kriegsbeginn mit seinen Angehörigen aufs Land geflüchtet und hatte den Befehl, sich für die Front bereit zu halten, mißachtet. Die Stimmung in Taizz ist anders als im hohen Norden: Mit der JSP zu sympathisieren gilt nicht als anstößig, für die „Einheit“ zu sein ist kein Glaubensbekenntnis. Und erstaunlich ist, mit welcher Offenheit politische Kritik nach wie vor geäußert wird, obwohl gegen JSP-Mitglieder hart vorgegangen wurde. Ein Beispiel von vielen:

Das Haus eines Taizzer JSP- Unterstützers wurde am ersten Kriegstag von der Polizei umstellt. Der Gesuchte befand sich jedoch außer Haus und konnte zunächst untertauchen. Einige Wochen später wurde er festgenommen und mit verbundenen Augen ins Gefängnis gebracht. Erst nach Kriegsende wurde er wiederfreigelassen. Während seiner Haft, buchstäblich bei Wasser und Brot, wußte niemand von seinem Verbleib. In Verhören verlangte man von ihm, der JSP abzuschwören. Da er ablehnte, enthob man ihm seines Postens bei einer staatlichen Bibliothek. Er bezieht lediglich weiter sein Gehalt. Von allen kritischen Journalisten sei verlangt worden, sagt er, sich gegen die „Separatisten“ auszusprechen, ja, ein Dramatiker sei sogar aufgefordert worden, ein Theaterstück gegen sie zu schreiben. – Während unseres Gesprächs bevölkern schwerbewaffnete Sicherheitskräfte das Café. Selbst einem etwa Sechsjährigen hat man ein MG umgehängt.

Spuren des Krieges

Südlich der ehemaligen innerjemenitischen Grenze in Richtung Aden werden die Spuren des Krieges immer deutlicher: Raketenreste, ausgebrannte Panzer, zerstörte Häuser, ein abgeschossenes Flugzeug. In Lahg sind ganze Wohnviertel zerstört; ähnlich sieht es in Scheich Uthmann, einem nördlichen Vorort von Aden, ausund in der Umgebung der Ölraffinerie. Die renommierten Adener Hotels Ambassador und Rock haben Einschüsse in der Fassade und sind restlos geplündert; einzelne Gardinenreste wehen aus zerbrochenen Fensterscheiben. Die Arbeiterstatue am Paradeplatz in Khormaksar ist niedergerissen, die letzten nicht zerschossenen roten Sterne an Gebäuden verblassen. Die Polizei- und Militärpräsenz ist deutlich, wenn auch die Panzer abgezogen sind. In Crater, dem alten Stadtzentrum von Aden, sind Müll, Gestank und Abwasserpfützen zunächst die einzigen sichtbaren Kriegsfolgen. Das Wasser fließt wieder einige Stunden täglich. Der Markt ist belebt und mit Waren versorgt. Allerdings liegen die Preise für tägliche Bedarfsgüter 30 bis 50 Prozent über dem Niveau von Sanaa. Mit gedämpfter Stimme berichtet eine Adener Ärztin, die in der DDR studiert hat, was sich während und nach dem Krieg in Aden abgespielt hat. So seien nach dem Fall Adens in der medizinischen Fakultät der Universität sämtliche Geräte gestohlen worden, sogar in den Kliniken seien den Kranken quasi die Apparate vom Bett weggeraubt worden. Wer denn die Plünderungen begangen habe, möchte ich wissen. Die Antwort lautet: Die Soldaten hätten damit begonnen, hätten sich das Wertvollste genommen und dann die Zivilisten mitmachen lassen. Nun könne man sich nicht mehr trauen, sich laut zu äußern, schon gar nicht als Frau. „Besatzung“, flüstert sie mir zu. Zahra, Sekretärin in einer Bibliothek, hat vor den Plünderern, Militärs und Zivilisten, gerade mal die Sitzmöbel in ihrem Büro retten können – aber nicht die Polster. Bitter beklagt sie sich über die Arroganz der Soldaten, die mit ihren Kontrollen jetzt besonders Frauen belästigen, wenn sie allein unterwegs sind und nicht ihren Vorstellungen von Körperverhüllung entsprechen. Viele Frauen ziehen es deshalb vor, nur noch selten in die Öffentlichkeit zu gehen.

Ein Hotelangestellter berichtet mir, er sei als Freiwilliger auf der Seite des Südens an die Front gegangen. Nach der Kapitulation verkaufte er sein MG und flüchtete auf dem Landweg nach Oman. Als nach einer Woche klar wurde, daß es für „Fehlgeleitete“, die gegen den Angriff der Nordarmee Widerstand geleistet hatten, eine allgemeine Amnestie geben und diese auch eingehalten würde, kam er zurück nach Aden ...

Trotz allem ist spürbar, daß sich auch in Aden wieder eine gewisse Normalität eingestellt hat. Viele Menschen ziehen es vor, sich mit der Realität abzufinden und es bei leisem Fluchen zu belassen. Sollte diese Ruhe anhalten, so hätte Ali Abdallah Salih sein Kriegsziel erreicht: ohne die lästigen Sozialisten den gesamten Jemen zu regieren. Aber, wie es eine Adener Politologin ausdrückt: „Die Adener lassen sich ihre Geschichte nicht nehmen. Sanaa kann uns auf Dauer nichts aufzwingen.“