■ Die USA halten die UNO von ihrer Haiti-Invasion fern
: Eigenmächtiger Alleingang

Als Dante Caputo am 19. September seinen Auftrag als Sonderbeauftragter für Haiti zurückgab, beging er das für einen hohen UNO-Beamten Undenkbare: er kritisierte offen die USA, das mächtigste Mitglied der Organisation. „Die mangelnde Konsultation und Information von seiten der US-Regierung“, schrieb er, „bringen mich zu der Überzeugung, daß dieses Land sich in Haiti längst für einen Alleingang entschieden hat.“

Caputo, ein ehemaliger argentinischer Außenminister, hat UNO- Generalsekretär Butros Butros Ghali fast zwei Jahre lang in der Haiti-Krise vertreten und spielte eine entscheidende Rolle beim Zustandekommen der von der UNO ausgehandelten Vereinbarung von Governor's Island, in der sich die Junta-Führer zum ersten Mal bereit erklärten, die Insel zu verlassen. Aber das haitianische Militär widerrief seine Zustimmung.

Caputos Wut rührt teilweise von der Art des Kompromisses her, den der ehemalige Präsident Jimmy Carter mit Cédras ausgehandelt hat. „Er ist so schwach, daß das Abkommen zu einer Gefahr werden könnte“, sagte er gegenüber der New York Times. Im Unterschied zur Vereinbarung von Governor's Island bietet die Carter-Vereinbarung keinerlei Garantien, daß Cédras oder andere Militärbefehlshaber Haiti verlassen, und sie nennt für die Rückkehr von Präsident Jean-Bertrand Aristide keinen festen Zeitpunkt.

In Reaktion auf die Befürchtungen einer Reihe nicht paktgebundener Länder verabschiedete der UN-Sicherheitsrat einen Beschluß, wonach ein von den USA kontrolliertes militärisches Eingreifen gegen Haiti gebilligt, aber der Aufsicht der UNO unterstellt wurde. Man hatte sich voller Unbehagen daran erinnert, wie die USA eine Mehrheit im Sicherheitsrat bestochen und bedroht hatten, bis diese eine Militäraktion zur Beendigung der irakischen Besetzung Kuwaits unterstützte, nur um dann – ohne Billigung oder auch nur unter Aufsicht der UNO – eine weit umfassendere Luft- und Bodenkampagne gegen den Irak durchzuführen. Daher sollte der Beschluß 940, der den US-Einmarsch in Haiti billigte, die Beteiligung der Weltorganisation von Beginn an sicherstellen.

Der neuseeländische Botschafter Colin Keating, der eine bedeutende Rolle bei den Debatten des Sicherheitsrates um die Billigung des US-Einmarsches gespielt hatte, sieht in der Resolution eine Konsequenz der „Lehren aus dem Golfkrieg“. Ein Tag nachdem Clinton in seiner Rede am 15. September die US-Invasion als bevorstehend bezeichnet hatte, bekräftigte Keating: „Die Resolution stellt fest, die Mitgliedsstaaten könnten ,alle notwendigen Mittel‘ ergreifen, knüpfe dies jedoch an die Bedingung der UNO-Überwachung. In Phase eins werden die Beobachter sich im Lande aufhalten; etwa 80 Beobachter werden mit dem Beginn von Phase eins eingesetzt werden und während Phase zwei in Haiti bleiben.“

Phase eins sollte aus einer Invasion bestehen, die nicht von der UNO getragen würde; sie sollte von den USA angeführt werden, aber unter Beteiligung von Truppen aus genug anderen Ländern, daß man von „Multilateralismus“ sprechen könnte. Die Selbstverpflichtungen von 23 Staaten zur Bereitstellung von Truppen wurden mit großem Trara bekanntgegeben, aber eine Woche nach der US-Besetzung Haitis hatte noch kein einziger Soldat aus Großbritannien, Argentinien, Israel oder einem der anderen Unterstützerländer den Fuß auf haitianischen Boden gesetzt. Was die UNO-Beobachter angeht, erreichten die ersten 16 Militärbeobachter das UNO-Hauptquartier erst fünf Tage nach der Landung der US- Truppen auf Haiti. Sie wurden zwei Tage lang in New York eingewiesen und kamen dann eine Woche nach den US-Truppen auf Haiti an, fünf Tage nachdem US- Soldaten tatenlos mit angesehen hatten, wie ein haitianischer Soldat einen Kokosnußverkäufer totschlug, und sechs Tage, nachdem zehn haitianische Revolverhelden von US-Truppen in einem Feuergefecht in Cap Haitien erschossen worden waren. Zehn Tage später kam das nächste Kontingent von 44 Beobachtern an.

Phase zwei, die geplante Friedenswahrungsmission, sollte vorgeblich eine echte multilaterale Operation werden. Aber erstens beginnt Phase zwei erst in einigen Monaten. Und zweitens verhandeln Vertreter der USA schon jetzt mit Generalsekretär Butros Ghali darüber, daß 70 Prozent der UNO- Truppen und außerdem der Oberbefehlshaber der Blauhelme von den USA gestellt werden sollten. Wie man hört, soll der Generalsekretär über diese US-Dominierung einer UNO-Operation vor Wut geschäumt haben. Angeblich steht ein Kompromiß vor dem Abschluß, wonach nur die Hälfte der Truppen von den USA gestellt würde. Über den Oberbefehlshaber konnte man sich noch nicht einigen.

Dante Caputos Rücktritt läßt sich wohl als neue Reaktion auf Washingtons Weigerung verstehen, die Vereinten Nationen als Partner in der Weltdiplomatie ernst zu nehmen. Als Clinton ankündigte, er werde US-Truppen nach Haiti entsenden, und sich dabei auf die Erlaubnis der UNO berief, hätte der Sicherheitsrat eine Notsitzung einberufen müssen.

Als der Generalsekretär im August beschloß, auf die Führung der UNO in der Haiti-Krise zu verzichten, war dies ein Ausdruck seiner Ansicht, der Organisation würden von ihren Mitgliedsstaaten die Mittel vorenthalten, um die unzähligen neuen Funktionen zur Friedenswahrung durchzuführen. Die diplomatischen Bemühungen, in letzter Minute eine möglicherweise blutige, aber von der UNO autorisierte Invasion abzuwenden, hätten sich nicht auf einen unverantwortlichen ehemaligen US-Präsidenten verlassen dürfen, sondern unter direkter Beteiligung der UNO stattfinden müssen – indem man mit US- Unterstützung den ranghöchsten Unterhändler der Organisation zurück nach Port-au-Prince geschickt hätte.

Aber statt dessen hatte man einen Tag nach Clintons Rede den Eindruck, Fellini habe die UNO- Szene choreographiert. Es war ein Schauspiel, wie entworfen, die Hohlheit der Rolle zu demonstrieren, die Washington der UNO zugewiesen hat. Zufällig hatte die UNO gerade einen Tag der offenen Tür, und die Hallen wimmelten von Clowns, Akrobaten und Musikern, die die UNO-Angestellten und ihre Familien unterhalten sollten. Und zufällig tagte auch der Sicherheitsrat, wenn er auch (was nun kein Zufall war) nicht über Haiti debattierte. Selbst als die Präsidenten Carter und Clinton mit ihrem privaten politischen Menuett begannen und die US-Marineinfanterie ihre Fallschirme packte, hielt sich die UNO aus der haitianischen Schlinge heraus.

Während die Beratungen des Sicherheitsrates weitergingen, verirrten sich drei Frauen in den Sitzungssaal, bevor sie angehalten wurden. „Ich dachte, hier gäbe es Ansichtskarten zu kaufen“, erklärte eine dem verdutzten Wächter. Phyllis Bennis

US-Journalistin. Autorin von „After the Storm“, eines Buches über die Folgen des Golfkriegs. Übersetzung: Meinhard Büning.