Berliner Revolutionstourismus

Zwischen Deutscher Oper und Springer-Hochhaus: Ein Stadtspaziergang auf den Spuren der APO  ■ Von Peter Walther

„Stehen Sie auf“, fordert der Richter den Angeklagten Fritz Teufel auf, einen der Protagonisten der Studentenbewegung in Berlin. „Wenn's der Wahrheitsfindung dienlich ist“, antwortet Teufel und erhebt sich mürrisch vom Stuhl. Heute, ein Vierteljahrhundert später, verdient Teufel seinen Unterhalt als Fahrradbote eines Kurierdienstes, während seine Mitstreiter von einst auf ihrem langen Marsch durch die Institutionen den einen oder anderen respektablen Posten ergattert haben.

Die Studentenbewegung von 1969 – mit ihren Folgen für ein liberaleres Klima in der bundesdeutschen Gesellschaft – ist längst Geschichte geworden. So ist es nur konsequent, daß im Veranstaltungsplan des „Kultur Büros Berlin“ neben stadthistorischen Spaziergängen auf den Spuren der Preußenkönige auch der lange Marsch vorbei an den Schauplätzen der APO-Geschichte in Berlin angeboten wird.

Für viele nur noch historische Stichworte

Schon die Veranstaltungszeit ist wie ein Schlag ins Gesicht der Bourgeoisie. Zu des Bürgers heiligster Stunde, am Sonntag um 13 Uhr, trifft sich ein Grüppchen Geschichtsinteressierter vor der Deutschen Oper, wo Ulrike Lippe vom „Kultur Büro“ in die Turbulenzen der Jahre 67 und 68 einführt.

Die Studentenrevolte in Paris, der Prager Frühling, die sexuelle Revolution, Vietnam, die nachgeholte Auseinandersetzung mit der Nazizeit, das sind für die meisten historisch interessierten Spaziergänger nicht mehr als Stichworte aus dem Geschichtsunterricht. Zum Spaziergang gekommen waren – abgesehen von einer Frau aus dem Ostteil Berlins, die das Geschehen damals über den Rias verfolgte – durchweg jüngere Leute. Einige dürften seinerzeit noch nicht einmal auf der Welt gewesen sein, andere waren, wie der Autor, gerade dem Kinderwagen entwöhnt worden.

Die Tour beginnt am Schauplatz der großen Anti-Schah-Demonstration, an der Deutschen Oper, wo das Hrdlicka-Denkmal für den von dem Polizisten Karl- Heinz Kurras erschossenen Studenten Benno Ohnesorg steht. Nur ein paar hundert Meter weiter, auf einem Hof in der Krummen Straße, kam es zu dem Handgemenge zwischen drei Polizisten und dem Studenten, dessen wirklicher Verlauf nie aufgeklärt werden konnte.

Alles begann im gutbürgerlichen Bezirk

Auf dem Weg zum Stuttgarter Platz, wo die „Kommune I“ im Januar 1967 eine riesige Wohnung bezogen hatte, macht Ulrike Lippe auf den geschichtlichen Bedeutungswandel aufmerksam, der sich mit den verschiedenen Orten verbindet. Nicht in Kreuzberg, sondern im heute gutbürgerlichen Stadtbezirk Charlottenburg konzentrierten sich die Aktivitäten der APO. Heute wie damals lag die Wohnung der „Kommune I“ mitten im Rotlichtbezirk, zwei Stockwerke über dem „Golden Gate Club“, „Starlight Girls – Tag und Nacht“.

Dutschke, der Ex-Volontär der „B.Z.“

Wie verklemmt es unter der selbsternannten Elite der Bewegung tatsächlich zuging, haben einige Kommunarden später der Presse gebeichtet. Von hier ging auch die grandiose Idee aus, auf Flugblättern zur Kaufhaus-Brandstiftung aufzurufen. Die absurde Begründung: Wenn andernorts, etwa in Vietnam, täglich unschuldige Menschen hingeschlachtet werden, müsse man den „Bürger“ wachrütteln.

Und wo trifft man den am empfindlichsten? Beim Einkauf natürlich. Die Folgen solcher letzten Endes menschenverachtenden Ideen, das Abgleiten in Mord und Gewalt, werden in der wohlwollenden historischen Perspektive während der Tour allerdings nur in einem Nebensatz erwähnt.

Es ist schon richtig: Haß und Gewalt gab es auch auf der anderen Seite. Besonders die Springer- Presse hatte sich mit Ausfällen gegen die Protagonisten der Studentenbewegung hervorgetan. In einem Gebäude am oberen Kurfürstendamm, Ecke Joachim-Friedrich-Straße, war Ende der sechziger Jahre der Sitz des SDS. Hier kam es zum Attentat auf Rudi Dutschke. Der Täter hatte sich am Vorabend eine Zeitung gekauft, in der massiv gegen Dutschke gehetzt wurde. Kurioserweise war Dutschke, auf den sich die Springer-Presse eingeschossen hatte, selbst einmal Volontär der B.Z.- Sportredaktion.

Kennzeichnend für das hysterische Klima jener Zeit in Berlin ist eine Episode, die sich am Rande der „Demonstration anständiger Berliner“ abgespielt hat. Im Anschluß an den Internationalen Vietnam-Kongreß hatte der Berliner Senat zu einer Demonstration der Anti-Vietnamgegner aufgerufen. 100.000 „anständige Berliner“ gingen auf die Straße. Als einige der Demonstranten auf einen jungen Mann aufmerksam wurden, der wie Dutschke aussah, stürzten sie sich auf den vermeintlichen Studentenführer, so daß die Polizei alle Mühe hatte, den Unglücksraben vor der lynchwütigen Menge zu schützen.

Sozialismus galt nie als soziale Hoffnung

Zwar hat die Presse die Stimmung gegen die Studentenbewegung angeheizt, erzeugt werden mußte sie jedoch nicht. Sozialismus bedeutete für die meisten West-Berliner, die auf einer Insel inmitten der DDR lebten, zu keiner Zeit eine soziale Hoffnung, sondern vielmehr eine anschauliche Bedrohung.

Die nachfolgende Generation hatte, soweit sie im Osten aufgewachsen war, ihr Emanzipationserlebnis im Herbst 1989. Wer den autoritären Mief der DDR erlebt hat, kann die Wut und die Provokationen der 68er gut verstehen, ohne die Vorstellungen von einem sozialistischen Gesellschaftsmodell zu teilen.

Diese Ideen sind übrigens auch den meisten Kämpfern von damals verlorengegangen. Viele haben sich nach 1989 auch im Osten in den Chefpositionen eingerichtet. Sie habe Erfahrungen mit einigen 68ern, meint die Frau aus dem Ostteil, die während der Führung auf den Spuren der APO zumeist geschwiegen hatte. Außer daß sie in ruhigen Stunden hin und wieder von den alten Zeiten schwärmen, würden sie sich kaum von den anderen Chefs unterscheiden. „Aber es gibt vielleicht auch andere“, fügt sie moderat hinzu.

Stadt(ver)führung des Kultur Büros Berlin: „Berlin 1968 – Der lange Marsch durch die Geschichte der APO“ mit Ulrike Lippe, morgen, 13 Uhr (bei jeder Witterung!), Treffpunkt am Haupteingang der Deutschen Oper, Bismarckstraße 34-37, Charlottenburg. Teilnahmegebühr: 12 Mark, ermäßigt 10 Mark. Weitere Informationen beim Kultur Büro Berlin, Telefon: 392 37 47