■ Die Lufthansa weigert sich, Salman Rushdie zu befördern
: Zivilfeigheit

Man möchte es nicht glauben. Die British Airways, aber auch die Lufthansa weigern sich, Salman Rushdie zu befördern. Mit den Worten der Lufthansa-Pressestelle: „Wenn jemand mit uns reist, der eine Gefahr darstellt für die Besatzung, die Passagiere oder wen auch immer, dann ist das ein Problem.“ Dies ist nicht nur einer jener „Anfänge“, denen es nach einer vielbemühten Redeweise zu wehren gilt. Hier ist ein Übungsziel erfüllt: freiwillige Unterwerfung. Der von den beiden Fluggesellschaften angegebene Grund für den Kotau vor dem Mordbefehl der Ayatollahs heißt: Sicherheit der Passagiere.

Was letztere angeht – sie sind nicht gefragt worden. Es ist auch nichts davon bekannt, daß sie irgendein Luftschiff der British Airways oder der Lufthansa fluchtartig verlassen hätten, weil Salman Rushdie darin gesessen hätte. Der entsprechende Test fehlt. Dreimal ist Salman Rushdie seit 1992 nach Deutschland gekommen, dreimal wurde die Lufthansa angesprochen, dreimal lehnte sie ab. So bleiben die beiden feinen Gesellschaften denn auf die mörderische Gleichgültigkeit der Paragraphen- und Bürokratensprache angewiesen.

Zivile Feigheit wird als technische Notwendigkeit verkauft, als Dienst am Kunden: „Es kann sich keine Fluggesellschaft dieser Welt leisten, Sicherheitsrisiken wissend an Bord zu nehmen.“ Egal, ob es sich bei dem Sicherheitsrisiko um einen Mörder handelt oder um einen von Mord Bedrohten. Ein Sicherheitsproblem ist ein Sicherheitsproblem ist ein Sicherheitsproblem ...!

Warum dann nicht gleich: Das Opfer ist selber schuld, es hat den Mörder provoziert! Salman Rushdies Sache, wenn er sich mit einem Prosastück ein Todesurteil einhandelt! Wir von British Airways und Lufthansa können nicht für die Unterlassungssünden seines Lektors einstehen. Wir schützen einen derart bedrohten Passagier, indem wir ihn von der Liste streichen. – Zwischenfrage: Wie bewältigen Lufthansa und British Airways eigentlich die Sicherheitsprobleme anderer gefährdeter, gleichwohl beförderter Personen: von Kanzlern, Königen, Präsidenten? Sind diese Sicherheitsrisiken bewältigbarer, weil deren Beförderung zwar ebenfalls die Flugsicherheit, nicht aber die wirtschaftlichen Interessen der beiden Companies bedrohen? In Teheran, so ist zu hören, ist Tanken entschieden billiger! Ach wo, ein allzu billiges Argument. Schwein wird man natürlich nie zum eigenen Besten, sondern immer zum Besten anderer Schweine. Als Salman Rushdies verfemter Roman auf deutsch erschien, sagte eine Berliner Akademie der Künste eine von Berliner Autoren geplante Lesung aus Rushdies „Satanischen Versen“ ab. Das Risiko für das Publikum und für die Autoren sei zu hoch. Das Publikum wollte kommen, die Autoren wollten lesen, sie durften aber nicht – zu ihrem eigenen Besten. Die Unterwerfung beginnt immer zum Besten derer, die nie gefragt worden sind.

Günter Grass ist damals aus der Akademie der Künste ausgetreten. Die frequent flyers der Lufthansa und der British Airways haben die gleiche Wahl – falls das immer noch erhoffte, klärende Wort dieser Gesellschaften ausbleibt. Soviel sollte selbstverständlich sein: Fluggesellschaften, die einen Passagier ausstoßen, weil sein Leben unverschuldet in Gefahr ist, genügen nicht dem Sicherheitsstandard einer zivilen Gesellschaft. Im Zweifelsfall gibt es immer noch eine Wahl, zum Beispiel Air France. Diese Gesellschaft hat sich bisher als einzige dazu bekannt, daß sie Salman Rushdie transportiert. Sie ist an diesem Bekenntnis nicht bankrott gegangen. Offenbar zählt sie mit Erfolg auf Fluggäste, die nicht nur in der Luft, sondern auch am Boden einigermaßen zivil überleben wollen. Peter Schneider