Ethnische Motive

■ Erstes Völkermord-Verfahren seit Nürnberger Prozessen wurde eröffnet

Genf/Salzburg (taz) – Gestern begann vor dem Bezirksgericht Salzburg das erste Verfahren wegen Völkermords seit den Nürnberger Prozessen Mitte der vierziger Jahre. Die Staatsanwaltschaft wirft dem 26jährigen bosnischen Serben Duško Cvjetković Mord, Beihilfe zum Mord, Entführung, Brandstiftung und Plünderei vor. Im Juli 1992 soll der Angeklagte in seinem 100 Kilometer nordwestlich von Sarajevo gelegenen Heimatdorf Kućice einen bosnischen Muslim erschossen und zwei weitere ins Internierungslager Kamenica verschleppt haben, wo sie später umgebracht worden seien.

Den Vorwurf des Völkermords begründet die Staatsanwaltschaft mit dem Motiv für die Verbrechen. Dieses sei gewesen, daß die drei Opfer Angehörige einer anderen ethnischen Gruppe waren. Cvjetković, der zum Prozeßbeginn seine Unschuld beteuerte, lebt seit April 1993 als Flüchtling in Österreich, wo ihn ein 50jähriger bosnischer Muslim ihn im Mai dieses Jahres auf der Straße erkannte und anzeigte. Der Muslim, Bruder eines der beiden ins Lager Kamenica Verschleppten, ist einziger Belastungszeuge in dem Verfahren.

Am 8. November wird eine dreiköpfige Richterkammer des Internationalen Kriegsverbrechertribunals in Den Haag über das Begehren von Chefankläger Goldstone entscheiden, bei der deutschen Regierung die Auslieferung des seit Februar dieses Jahres in München inhaftierten Serben Dušan Tadić zu beantragen. Der taz liegt ein umfangreiches Dossier Goldstones zum Fall Tadić vor, in dem der bosnische Serbe von zahlreichen Zeugen bezichtigt wird. Demnach soll Tadić im Sommer 1992 in der nordwestbosnischen Region Prijedor und in dem ehemaligen Internierungslager Omarska Muslim und Kroaten gefoltert und ermordet haben.

Ebenfalls im November wird vor einem dänischen Gericht der Prozeß gegen einen bosnischen Muslimen eröffnet, der als Gefangener in einem kroatischen Lager Wachleuten bei der Ermordung anderer Gefangener geholfen haben soll. Ein weiteres Verfahren wird derzeit in der Schweiz vorbereitet. Prozesse in einer der ehemaligen Republiken Jugoslawiens sind dagegen nach wie vor nicht in Sicht. Andreas Zumach

Siehe auch Interview auf Seite 10