Provokativer Richterspruch

■ Haschisch-Urteil heftig umstritten

Hamburg (dpa) – Das Lübecker Haschisch-Urteil ist bei Politikern und Experten weitgehend auf Unverständnis und Ablehnung gestoßen. Als „Provokation“ bezeichnete der Frankfurter Professor für Sucht- und Drogenproblematik, Hans-Volker Happel, die Beurteilung von vier Kilogramm Haschisch als „geringe Menge“. „Ich weiß nicht, was die Lübecker damit beabsichtigen. Wahrscheinlich wollen sie das BGH-Urteil auf die Händler ausdehnen“, sagte Happel gestern. Wenn jemand so viel Hasch besitze, gehe es ihm eindeutig um den Handel mit dem Halluzinogen. Ähnlich äußerten sich auch andere Verantwortliche – mit einigen Ausnahmen.

Professor Karl-Artur Kovar, einer der fünf Gutachter im „Vier- Kilo-Prozeß“ des Lübecker Landgerichts und Mitglied des wissenschaftlichen Kuratoriums der deutschen Hauptstelle gegen Suchtgefahren, trägt entscheidende Teile der Urteilsbegründung nicht mit. Die Passage, daß der „auch nur einigermaßen geordnete Gebrauch von Haschisch faktisch frei von Bedenken ist“, könne so nicht stehenbleiben, sagte er gestern den Lübecker Nachrichten. Es gebe eine Reihe von Risikofaktoren beim Haschrauchen, so Herzbeschleunigung, Blutdruckveränderungen, Lungenerkrankungen, Psychosen, Fehlverhalten im Straßenverkehr und Sexualfunktionsstörungen.

Als „mutig, realistisch und gerecht“ wertete dagegen der Lübecker Richter Wolfgang Neskovic, Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Juristen (AsJ), das Urteil. Es sei eine an den medizinischen Fakten orientierte Entscheidung. Der Umgang mit einer Droge, die nur geringere Gefahren aufweise, müsse auch geringer bestraft werden.

Auch Niedersachsens Sozialminister Walter Hiller (SPD) begrüßte die Entscheidung und erhoffte sich davon eine Versachlichung der Diskussion um Cannabisprodukte. Hiller betonte, die gesundheitlichen Schädigungen von Alkohol und Nikotin seien wesentlich größer als die von Haschisch ausgehenden Gefahren.

Kritik übte Baden-Württembergs CDU-Fraktionsvorsitzender Günther Oettinger. Der Richterspruch belege die verheerende Wirkung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom April. Danach soll der Erwerb und der Besitz von Haschisch in geringen Mengen zum Eigenverbrauch grundsätzlich straffrei sein. Als „kaum nachvollziehbar“ bezeichnete der innenpolitische Sprecher der CSU im Bundestag, Wolfgang Zeitlmann, das Urteil.