Streit in Jerusalem: Wem gehört der Felsendom?

■ Die Palästinenser fühlen sich durch Jordaniens Frieden mit Israel übervorteilt

Wer wird zuerst in der Al-Aqsa- Moschee in Ost-Jerusalem beten – der jordanische König Hussein oder PLO-Chef Jassir Arafat? Mit der Unterzeichnung des israelisch- jordanischen Friedensabkommens dürfte der Haschemitenherrscher und Hüter des dritten islamischen Heiligtums nach Mekka und Medina das Rennen machen. Ein Besuch König Husseins würde den Konflikt zwischen Jordanien und der Palästinensischen Befreiungsbewegung über Ost-Jerusalem, der durch das Abkommen ausgelöst wurde, weiter vertiefen.

Im Text ist nämlich festgehalten, daß Israel die besondere Rolle des haschemitischen Königreichs für die Heiligen Stätten des Islam in Jerusalem anerkennt. Bei Gesprächen über einen definitiven Status der Stadt will Israel der „historischen Rolle“ Jordaniens „höchste Priorität“ einräumen. Dieser Passus kollidiert mit dem Anspruch der PLO, Ost-Jerusalem zur Hauptstadt eines Palästinenserstaates zu machen.

Der Anspruch des Haschemitenherrschers leitet sich aus historischen und religiösen Begründungen her. Die Haschemiten, die als Nachkommen des Propheten Mohammed gelten, kontrollierten über tausend Jahre lang bis Ende des ersten Weltkriegs die Heilige Stadt Mekka. Anschließend etablierte sich ein Zweig der Familie auf dem Gebiet des heutigen Jordanien. Als die jordanische Armee während des israelisch-arabischen Krieges von 1948 die Westbank und Ost-Jerusalem besetzte, übernahmen die Haschemiten die Verwaltung der Heiligen Stätten und religiösen Stiftungen. Auch nach der israelischen Besetzung der Westbank und Ost-Jerusalems im Krieg von 1967 blieb die Verwaltung in Amman angesiedelt.

De facto hat der König seinen Treuhänderanspruch in letzter Zeit durch praktische Unternehmungen bestärkt. So finanzierte er die Restaurierung des Felsendoms in Ost-Jerusalem mit 6,8 Millionen Dollar. Allein für die Vergoldung der Kuppel wurden 75 Kilo Gold verbraucht. Doch die palästinensischen Gläubigen bezeugen dem Spender keinen großen Dank. Hussein habe das Geld schließlich aus den religiösen Stiftungsgütern (Awqaf) in Jerusalem und der Westbank genommen.

Die Stiftungen sind ein wesentlicher Streitpunkt zwischen Jordanien und den Palästinensern. Sie umfassen die Heiligtümer, religiöse Institutionen, Häuser und Land. Nach Angaben der Awqaf- Verwaltung in Ost-Jerusalem sind mehr als die Hälfte des Grundbesitzes in der Westbank und Jerusalem Awqaf. Sie zu verwalten bedeutet Macht. Seit der Bildung der palästinensischen Autonomieregierung (PNA) wird darüber heftig gestritten. Hassan Tahbub, Oberhaupt des Hohen Islamischen Rates und von Jassir Arafat eingesetzter Minister für religiöse Angelegenheiten und Stiftungen, hat als erster den palästinensischen Anspruch auf die Treuhänderschaft gegenüber Jordanien angemeldet. Daraufhin brach Jordanien seine administrativen Verbindungen zu den Awqaf in der Westbank ab – aber nicht in Jerusalem.

Auch personell haben beide Seiten ihre Ansprüche untermauert: Vor einer Woche ernannte der jordanische Premierminister den obersten Islamischen Richter, Scheich Abdul Qadir Abdien, zum Nachfolger des kurz davor verstorbenen Muftis Ja'bari. Der Mufti ist das höchste religiöse Oberhaupt der Muslime in Jerusalem. Die PNA sah in diesem Schritt eine „empfindliche Einmischung in die inneren palästinensischen Angelegenheiten“ und ernannte noch am selben Tag ihren „eigenen“ Mufti: Akrama Sabri, Imam der al-Aqsa- Moschee in Jerusalem und Leiter der Predigerausbildung.

In einem Gespräch mit der taz betont Scheich Sabri die Absurdität der Situation: „Aus religiöser Sicht kann es zwar durchaus mehrere Muftis geben, aber politisch kann so etwas nicht funktionieren.“ Und er stellt fest, daß der Islam keiner Familie oder Herrscherdynastie einen religiösen oder historischen Anspruch auf die Heiligtümer zugesteht. Diese seien vielmehr im Besitz aller Muslime, und ihre Aufsicht obliege den Palästinensern. „Natürlich sprechen wir den Jordaniern nicht ab, daß sie die Heiligtümer über Jahrzehnte beaufsichtigt haben, aber bislang gab es keine palästinensische Autonomieregierung, die diese Aufgabe hätte wahrnehmen können.“ Scheich Sabri weist darauf hin, daß unter israelischer Besatzung 35 Prozent der Stiftungsgüter in Ost-Jerusalem enteignet wurden und daß weder Jordanien noch sonst eine arabische Regierung zum Schutz aufgetreten sei. „Es waren die Palästinenser hier vor Ort, die für die Stiftungen gefochten haben.“ Und es sind heute die Palästinenser Ost-Jerusalems, die offenen Unmut nicht nur über die Ansprüche Husseins, sondern über das Friedensabkommen zwischen Israel und Jordanien äußern.

Die politischen Implikationen dieser scheinbar religiösen Streitigkeiten zeichnen sich immer deutlicher ab. Angesichts der ökonomischen und politischen Probleme für die palästinensische Autonomieregierung ist die „jordanische Option“ wieder einmal auf der Tagesordnung – allerdings in einem neuen Gewand. Politische Beobachter sprechen davon, daß Israel lieber mit Jordanien über die Zukunft der Westbank verhandeln will als mit der PNA, der es bisher alle nur erdenklichen Steine in den Weg zur Eigenstaatlichkeit gelegt hat.

Wie die Palästinenser selbst zu einer solchen Entwicklung stehen, deutet eine Umfrage im Gaza- Streifen, in der Westbank und Jerusalem an: Ihr zufolge stünden 20,9 Prozent der PalästinenserInnen einer kompletten Vereinigung mit Jordanien positiv gegenüber; 16,3 Prozent sprachen sich für eine Konföderation aus. Die überwiegende Mehrheit, nämlich 60,5 Prozent, unterstützt laut Umfrage einen unabhängigen palästinensischen Staat. Kirsten Maas, Jerusalem