EU-Brunnenvergifter vor den Kadi

■ Das Europaparlament will gegen die Pestizidrichtlinie vor den Europäischen Gerichtshof ziehen / Neue Richtlinie schützt nur sieben Prozent des Grundwassers

Brüssel (taz) – Im Trinkwasser darf so gut wie kein Gift sein, hat die Europäische Union in einer strengen Richtlinie festgelegt. Aber ebenso findet der Brüsseler Ministerrat, daß die Landwirte nicht auf Pestizide zu verzichten brauchen, bloß weil diese ins Grundwasser gespült werden. Daher soll jetzt die Pestizidrichtlinie die Landwirtschaft vor dem Trinkwasserschutz schützen.

Damit höhlen die EU-Agrarminister nicht nur die Trinkwasserrichtlinie aus, sie verstoßen nach Ansicht von Europaabgeordneten auch gegen demokratische Grundsätze. Der Rechtsausschuß des Straßburger Parlaments hat auf Drängen der Grünen mit 15:1 Stimmen beschlossen, vor dem Europäischen Gerichtshof in Luxemburg die Aufhebung der Pestizidrichtlinie zu verlangen.

Den Zorn der Parlamentarier zieht eine kürzlich erst eingefügte Passage im Anhang VI der Richtlinie auf sich, nach der lediglich das „zur Trinkwassergewinnung bestimmte Grundwasser“ geschützt werden muß. In der Bundesrepublik sind das nur sieben Prozent des Grundwassers, in der Europäischen Union insgesamt rund zehn Prozent. Das übrige Grundwasser darf demnach mit Unkraut- und Insektenkillern verpestet werden.

Die Pestizidrichtlinie von 1991 regelt vor allem, daß Agrarchemikalien nach EU-weit einheitlichen Maßstäben bewertet und zugelassen werden. Von den rund 700 derzeit verwendeten Substanzen werden zur Zeit 90 auf eine dauerhafte Zulassung hin geprüft, darunter auch das in Deutschland bislang noch verbotene Gift Atrazin.

Die umstrittene Passage aber steht gar nicht im Haupttext der Richtlinie, sondern wurde erst vor wenigen Wochen von den zwölf Agrarministern trickreich im Anhang VI eingeflochten. Die Abgeordneten fühlen sich übergangen; für Änderungen im Anhang muß das Parlament nämlich nicht gefragt werden. Weshalb es bei den europäischen Ministern und Kommissaren üblich ist, das Wesentliche einer Richtlinie in den Anhang zu schreiben.

Die Abgeordneten sehen in der Änderung des Anhangs ein bewußtes Manöver, um am Parlament vorbei den Schutz des Trinkwassers aufzuheben. Die Grünen- Abgeordnete Undine von Blottnitz befürchtet einen „agrochemischen Großangriff auf das Grundwasser“. Nach den Maßstäben der schließlich immer noch gültigen Trinkwasserrichtlinie dürften auf den europäischen Äckern im Grunde nur solche chemischen Mittel zugelassen werden, die hinterher mit weniger als 0,1 Millionstel Gramm pro Liter im Trinkwasser auftauchen. Doch statt Pestizide zu verbieten, die diesen Wert nicht einhalten können, wollen die Umweltminister demnächst lieber einfach die Grenzwerte ändern. Alois Berger